Melbourne (dpa)
Forscher beklagen mangelnde Daten zu Long-Covid bei Jüngeren
Auch Kinder und Jugendliche können längerfristig an Corona leiden. Ist das ein Argument für eine Impfung der Jüngsten? Forscher beklagen eine unzureichende Studienlage zu Long-Covid in diesem Alter.
Die Problematik von Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen lässt sich anhand der aktuellen Studienlage kaum beurteilen. Das schreiben australische Forscher in einem Übersichtsartikel in „The Pediatric Infectious Disease Journal“.
Die Frage nach Long-Covid - als dem Anhalten von Corona-Symptomen über viele Wochen - ist brisant, weil das Syndrom ein Argument für Kinder-Impfungen sein könnte, sollte es weit verbreitet sein.
Eine Corona-Infektion verläuft bei Kindern und Jugendlichen in der Regel deutlich milder als bei Erwachsenen. Die meisten Kinder entwickeln keine Symptome, manche erkranken leicht. Zwei Prozent müssen in einem Krankenhaus behandelt werden, schreiben die australischen Forscher mit Verweis auf verschiedene internationale Untersuchungen. Rund 0,03 Prozent versterben demnach als Folge der Infektion. Sollten Kinder unter 12 Jahren trotzdem geimpft werden? Dazu läuft in Deutschland eine hitzige Debatte.
„Das geringe Risiko der akuten Erkrankung bedeutet, dass einer der Hauptvorteile einer Impfung von Kindern darin liegen könnte, sie vor Long-Covid zu schützen“, sagt Nigel Curtis von der Universität Melbourne, einer der Autoren des Übersichtsartikels. Er und sein Team fassten vierzehn Einzelstudien zu Long-Covid zusammen, die rund 19.426 Kinder einbezogen. Die Prävalenz von typischen Symptomen variierte je nach Studie zwischen 4 und 66 Prozent. Die kleinen Patienten klagten über Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Bauchschmerzen und Muskel- sowie Gelenkbeschwerden.
In drei Studien waren Mädchen deutlich häufiger betroffen. Nach höchstens zwölf Wochen war der Großteil der Kinder beschwerdefrei. Kinder scheinen zwar an Long-Covid zu erkranken - aber weniger lange und ausgeprägt als Erwachsene.
Die Autoren betonen stark die begrenzte Datenlage. „Die vorliegenden Studien geben keine klare Definition für das Syndrom an“, so Curtis. Mittels Online-Umfragen oder Telefoninterviews wurden die Daten erhoben. Patienten mit starkem Leidensdruck würden diese Tools vielleicht mehr nutzen als Kinder mit leichten Symptomen. Die Prävalenz von Long-Covid könnte dadurch überschätzt werden.
Zudem sei unklar, ob die berichteten Symptome überhaupt auf eine Infektion mit dem Coronavirus zurückzuführen sind - oder beispielsweise Folgen eines Lockdowns. Für zukünftige Studien fordern die Autoren klare Kontrollgruppen. Long-Covid-Patienten müssten mit gesunden Probanden sowie Kindern verglichen werden, die an anderen Atemwegsinfektionen erkrankt sind. Nur so könnte ein kausaler Zusammenhang tatsächlich festgestellt werden.
Sollten Kinder also geimpft werden, um sie vor Langzeitfolgen der Erkrankung zu schützen? „In der Debatte über die Vorteile einer Impfung müssen wir das Risiko für Long-Covid in dieser Altersgruppe kennen“, so Curtis. Die aktuellen Studien reichten dafür aber noch nicht aus. Daniel Vilser, leitender Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Jena, sieht das ähnlich.
„Die Studie fasst gut zusammen, wie die Datenlage im Moment aussieht“, sagt er zu dem Übersichtsartikel. „Aber die Daten sind noch nicht gut vergleichbar.“ Über 200 Symptome sind mit Long-Covid assoziiert. Es gibt viele Überschneidungen zu Erkrankungen, die schlecht fassbar sind - beispielsweise zu Depressionen und psychosomatischen Krankheitsbildern. Die Übergänge sind fließend. „Wir haben keinen Biomarker, der die Verdachtsdiagnose objektiv bestätigen könnte. Das ist unser Hauptproblem.“ Vilser leitet eine neu eingerichtete Long-Covid-Sprechstunde.
„Wir schulen die Kinder im Umgang mit der Erkrankung“, sagt er. Eine kausale Behandlung gibt es nicht. Manche Kinder profitieren von Physio-, Ergo- oder Psychotherapie. „Wir stellen aber auch Bescheinigungen aus, sodass weniger belastbare Kinder zum Beispiel nur für zwei Stunden pro Tag zur Schule gehen müssen.“
Vilser stimmt mit den Autoren der Studie überein, dass die Symptome auch als Folge der Pandemie gewertet werden können. „Wenn wir die Schäden durch den Lockdown mit den Schäden durch das Virus betrachten: Dann überwiegt klar der Lockdown“, sagt Vilser. Seit Beginn der Pandemie ist die Inzidenz von psychosomatischen Erkrankungen bei Kindern stark gestiegen. „Dass es Long-Covid bei Kindern nicht gibt, ist aber falsch. Es wäre schade, wenn die Betroffenen keine Hilfe bekämen.“
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