Berlin (dpa)
Kräftiges Steuerplus spielt Ampel-Verhandlern in die Karten
Das könnte helfen, in den Koalitionsverhandlungen so manchen Knoten zu lösen: SPD, Grüne und FDP können mehr Steuereinnahmen verplanen als gedacht. Also Feuer frei? Noch-Finanzminister Olaf Scholz bremst.
Es soll der letzte große Auftritt von Olaf Scholz als Finanzminister sein - und der wohl künftige Kanzler bringt ein Geschenk für seine Koalitionsverhandler mit.
SPD, Grüne und FDP können in dieser Legislaturperiode Milliarden mehr an Steuereinnahmen verplanen als bisher gedacht. Zuletzt hatte es etwas gekriselt in den zuvor harmonisch wirkenden Gesprächen. Vor allem die Grünen waren unzufrieden. Was sagt ihm die Erfahrung: Werden Kompromisse leichter, wenn man mehr Geld zu verteilen hat? „Klar wird es einfacher“, sagt Scholz direkt.
In die Karten schauen lässt sich der SPD-Kanzlerkandidat nicht: Auch er verrät keine Inhalte eines möglichen Koalitionsvertrags. Unüberwindbare Probleme sehe er zwischen SPD, Grünen und FDP aber nicht. Da habe er schon ganz andere Situationen erlebt. Alle bisherigen Vorhaben der drei Parteien seien jedenfalls finanzierbar - da werden die erwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen nicht schaden.
179 Milliarden Euro mehr als geplant
Die Steuerschätzer gehen davon aus, dass Bund, Ländern und Kommunen bis 2025 rund 179 Milliarden Euro mehr in die Kassen fließen als noch im Mai vorhergesagt. Am größten fällt das Plus bei den Ländern aus - auch, so Scholz, weil der Bund seit Beginn der Corona-Krise viele Lasten selbst schultere.
Aber nicht nur die Länder, auch der Bund wird der Experten-Prognose zufolge im kommenden Jahr 13,8 Milliarden Euro mehr einnehmen als man zunächst erwartete. Insgesamt können die Koalitionäre dann 328,4 Milliarden verplanen. In den Folgejahren soll es ähnlich gut weitergehen: Zwischen 2022 und 2025, in etwa dem Zeitraum, für den ein neuer Koalitionsvertrag gelten soll, könnten pro Jahr im Schnitt 15 Milliarden Euro zusätzlich in den Bundeshaushalt fließen.
„Die nächste Bundesregierung kann auf einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik aufbauen“, sagt Scholz. Der 63-Jährige nutzt die Steuerschätzung für eine Bilanz seiner Arbeit als Finanzminister. Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin - darum ringen FDP und Grüne noch - finde ein gut bestelltes Feld vor. Er nennt Rekordinvestitionen, mehr Finanzspielraum für Familien, den Wegfall des Soli für fast alle, eine Sondereinheit gegen Steuerbetrug und, nicht zuletzt, die Krisenpolitik der Corona-Zeit. Jeder Euro, den der Bund für Kurzarbeit ausgegeben habe, mache sich jetzt bezahlt.
Wirtschaft wird deutlich an Fahrt gewinnen
Grund für den Optimismus der Steuerschätzer gibt vor allem der erwartete wirtschaftliche Aufschwung nach Ende des Pandemie-Tiefs. Die Erholung kommt - gedämpft durch Lieferengpässe und Corona-Folge - zwar nicht so voran, wie die Bundesregierung zunächst erwartet hatte. Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft laut Herbstprognose aber deutlich an Fahrt gewinnen. Schon jetzt steigen die Steuereinnahmen - und das, so betont Scholz, habe mit den steigenden Preisen nicht viel zu tun.
Also Feuer frei für die Koalitionäre beim Aushandeln neuer Vorhaben? Wohl kaum. „Wir können finanzpolitisch noch nicht das Normalprogramm fahren“, mahnt Scholz. Die Lasten der Pandemie sind erheblich, 2020 und 2021 genehmigte sich der Bund neue Schulden von mehr als 370 Milliarden Euro. Auch im kommenden Jahr will Scholz die Schuldenbremse aussetzen und Geld leihen. Deutschlands Schuldenquote werde trotzdem deutlich unter dem Niveau aus Zeiten der Finanzkrise 2010 bleiben, betont der geschäftsführende Finanzminister.
Die künftige Ampel-Koalition kann sich durch die Mehreinnahmen das ein oder andere umkämpfte Projekt jetzt zwar möglicherweise doch leisten. Ihr grundlegendes Finanzproblem aber lösen die erwarteten Mehreinnahmen kaum. SPD, Grüne und FDP haben sich vorgenommen, jedes Jahr 50 Milliarden Euro zusätzlich in Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung zu investieren - mit Schuldenbremse und ohne nennenswerte Steuern zu erhöhen. „Die erfreulichen Zahlen dürfen nicht vom Ziel ablenken, den Haushalt zu stabilisieren“, warnt der FDP-Finanzexperte Christian Dürr auch gleich.
Die Verhandler ringen um Wege, trotz Schuldenbremse mehr Mittel zu mobilisieren, etwa über die Förderbank KfW, über öffentliche Unternehmen oder Investitionsgesellschaften. So könnte etwa eine Fernstraßengesellschaft Geld leihen und das Straßennetz sanieren. Selbst die „Wirtschaftsweisen“ waren zuletzt aber unterschiedlicher Meinung darüber, ob eine solche Umgehung der Schuldenbremse sinnvoll ist oder nicht.
Scholz lässt sich auch hier nicht in die Karten gucken. Sichtlich genießt er, dass seine Unterhändler bisher alle dicht halten.
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