Den Haag (dpa)
Nach 271 Tagen: Koalition in Den Haag praktisch perfekt
Gut neun Monate wurde über ein neues Regierungsbündnis verhandelt - ein Rekord in den Niederlanden. Jetzt legen vier Parteien ihren Koalitionsvertrag vor. Doch Jubelstimmung kommt keine auf.
In den Niederlanden ist nach den längsten Koalitionsverhandlungen der Landesgeschichte das neue Regierungsbündnis so gut wie perfekt.
Nach fast neun Monaten schlossen die rechtsliberale Partei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, die linksliberale D66, die christdemokratische CDA und die ChristenUnie am Montagabend in Den Haag ihre Verhandlungen ab - genau 271 Tage nach der Wahl. Noch an diesem Dienstag sollten die vier Fraktionen über den Koalitionsvertrag entscheiden.
Als sicher gilt, dass Rutte erneut Regierungschef wird. Der 54-Jährige regiert das deutsche Nachbarland mit etwa 17,5 Millionen Einwohnern bereits seit elf Jahren. Die genauen Pläne der neuen Koalition wurden zunächst nicht bekannt. Deutlich ist nur, dass erheblich mehr in Klimaschutz, Kinderbetreuung und Wohnungsbau investiert werden soll.
Erleichterung nach der „Zangengeburt“
Rutte selbst sprach von einem „guten Abkommen“. Die Fraktionsvorsitzende von D66, Sigrid Kaag, nannte die Vereinbarungen einen „sehr ausgewogenen Vertrag“. Der bisherige Finanzminister und CDA-Chef, Wopke Hoekstra, zeigte sich erleichtert nach einer „Zangengeburt“. Die Wahl in den Niederlanden war am 17. März - also auch deutlich vor der Bundestagswahl im September, nach der sich SPD, Grüne und FDP innerhalb weniger Wochen einig wurden.
Der neue Koalitionsvertrag soll nun am Mittwoch dem Parlament präsentiert werden. Dann soll Rutte auch erneut mit der Bildung einer Regierung beauftragt werden. Es wird sein viertes Kabinett. Der Rechtsliberale ist bereits der längst amtierende Regierungschef des Landes. Die neue Regierung wird wahrscheinlich aber erst nach der Weihnachtspause von König Willem-Alexander vereidigt - fast ein Jahr, nachdem die alte Regierung nach einer umfassenden Affäre um Kinderbeihilfen zurückgetreten war.
Die Affäre löste eine große politische Krise aus. Zehntausende Niederländer waren über Jahre von den Steuerbehörden fälschlicherweise als Betrüger abgestempelt worden - und mussten oft Zehntausende Euros bezahlen. Die Opfer wurden noch immer nicht vollständig entschädigt.
Bei der Wahl im März wurde die VVD von Rutte dennoch erneut stärkste Kraft, gefolgt von der linksliberalen D66. Doch die Koalitionsgespräche stockten, nach einem Skandal um Rutte: Ein großer Teil des Parlaments hatte ihm nach einer Lüge das Vertrauen entzogen. Er hatte versucht, einen kritischen Abgeordneten aus dem Parlament wegzubekommen und darüber nicht die Wahrheit gesagt. Es dauerte Monate, bis Rutte bei seinen Partnern Glaubwürdigkeit zurückgewinnen konnte.
Der Rechtsliberale verspricht nun eine „Regierung mit neuem Elan“. Größte Herausforderungen sind Klimaschutz, Wohnungsnot, Gesundheitsversorgung und die Bewältigung der Coronakrise. Nur noch 16 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Corona-Politik der Regierung. Die Kritik an einem Zickzack-Kurs und undeutlicher Kommunikation ist groß. Und das Vertrauen in der Bevölkerung in die neue Regierung niedrig: Nach Meinungsumfragen könnte die Koalition, wenn jetzt gewählt würde, nicht mehr mit einer Mehrheit rechnen.
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