Aviano/Brüssel (dpa)

EU-Parlamentspräsident Sassoli ist tot

Johannes Neudecker und Michel Winde, dpa
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Von Johannes Neudecker und Michel Winde, dpa
| 11.01.2022 04:50 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
David Sassoli, Präsident des EU-Parlaments, spricht während einer Pressekonferenz anlässlich eines EU-Gipfels. (Archivbild). Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
David Sassoli, Präsident des EU-Parlaments, spricht während einer Pressekonferenz anlässlich eines EU-Gipfels. (Archivbild). Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
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Er war ein überzeugter Europäer und wurde für seine Menschlichkeit geschätzt. Vor allem für die Rechte von Menschen auf der Flucht setzte David Sassoli sich ein. Nun ist er gestorben.

Europa trauert um den Präsidenten des EU-Parlaments, David Sassoli. Der Italiener starb in der Nacht zum Dienstag in einer Klinik seines Heimatlandes im Alter von 65 Jahren.

Spitzenpolitiker würdigten den in Florenz geborenen Sozialdemokraten als leidenschaftlichen Europäer. Sassoli stand kurz vor dem regulären Ende seiner Amtszeit als Parlamentspräsident.

„Heute ist ein trauriger Tag für Europa“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die EU verliere „einen leidenschaftlichen Europäer, einen aufrichtigen Demokraten und einen guten Menschen“. Das Europaparlament und andere EU-Institutionen, aber auch der Bundestag in Berlin setzten ihre Flaggen auf halbmast.

Kanzler Olaf Scholz ließ mitteilen: „Europa verliert einen engagierten Parlamentspräsidenten, Italien einen klugen Politiker und Deutschland einen guten Freund.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Sassoli in einem Kondolenzschreiben als „Verfechter eines sozialen Europas und ein charmantes und gewinnendes Gesicht der EU-Institutionen“. Außenministerin Annalena Baerbock twitterte: „Als EP-Präsident gelang es ihm immer wieder, Gräben zu überwinden und so das Parlament als Ganzes zu stärken. Wir werden seinen überzeugten Einsatz für den menschlichen Umgang mit Geflüchteten nicht vergessen.“

„Funktionsstörung des Immunsystems“

Sassoli war seit längerem gesundheitlich angeschlagen. Im September wurde er mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus behandelt. Im Herbst verpasste er wegen gesundheitlicher Probleme mehrere Tagungen des Parlaments. In seiner letzten Plenarsitzung im Dezember wirkte er geschwächt.

Eineinhalb Wochen später, am 26. Dezember, kam der Italiener dann erneut ins Krankenhaus. Der Aufenthalt war nach Angaben des Parlaments „wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems“ nötig. Am Dienstag um 1.15 Uhr starb Sassoli in einer Klinik im nordostitalienischen Aviano. Zur Todesursache wollte eine Sprecherin sich nicht äußern.

Ein progressiver Katholik

Als Präsident des Europäischen Parlaments war Sassoli seit Juli 2019 oberster Repräsentant des Hauses und leitete die Sitzungen des Plenums. Immer wieder sprach er mit Leidenschaft über zentrale europäische Werte und Menschenrechte. Dabei setzte er sich für die Belange von Menschen auf der Flucht ein, zuletzt etwa bei einer Privataudienz bei Papst Franziskus. Er galt als progressiver Katholik.

Geboren wurde Sassoli am 30. Mai 1956 in Florenz. Er war verheiratet und Vater zweier Kinder. Vor seiner politischen Karriere arbeitete er als Journalist. Der studierte Politikwissenschaftler begann bei kleineren Tageszeitungen. 1985 schaffte er es in die Redaktion der römischen Zeitung „Il Giorno“ (Der Tag). Später arbeitete er im Fernsehen und moderierte die Hauptnachrichtensendung TG1 des öffentlich-rechtlichen Senders Rai 1. Seine politische Karriere beim Partito Democratico begann 2009 mit dem Einzug als Abgeordneter ins EU-Parlament. 2014 wurde er zum Vizepräsidenten gewählt, 2019 dann an die Spitze des Parlaments.

Mitte Dezember erklärte Sassoli schließlich, nicht zur Wiederwahl als Parlamentspräsident antreten zu wollen. Zuvor hatte er hinter den Kulissen ausgelotet, ob eine Chance auf eine zweite Amtszeit besteht. Seine rund zweieinhalbjährige Zeit an der Spitze des Parlaments war vor allem von der Corona-Pandemie geprägt. Dadurch hatte Sassoli seltener Gelegenheit, sich öffentlich zu profilieren.

Wer tritt die Nachfolge von Sassoli an?

Schon seit längerem steht fest, dass das Parlament kommende Woche über Sassolis Nachfolge abstimmen wird. Als aussichtsreichste Kandidatin gilt die Malteserin Roberta Metsola aus der christdemokratischen EVP-Fraktion, die derzeit Erste Stellvertreterin Sassolis ist. Sie schrieb auf Twitter: „Europa hat einen Anführer verloren, ich habe einen Freund verloren, die Demokratie hat einen Vorkämpfer verloren.“

Die Trauerfeier für David Sassoli soll am Freitag in der Basilika Santa Maria degli Angeli e dei Martiri auf dem Platz der Republik in Rom stattfinden.

© dpa-infocom, dpa:220111-99-662031/8

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