London (dpa)
Auslieferung: Assange muss Niederlage einstecken
Die US-Justiz lässt den Wikileaks-Gründer nicht vom Haken. Beim Berufungsverfahren dürfen nun doch alle von den USA geforderten Punkte berücksichtigt werden. Auch Assanges Beziehung spielt eine Rolle.
Kein Aufatmen für Julian Assange: Im Rechtsstreit um den Auslieferungsantrag der USA hat der Wikileaks-Gründer am Mittwoch eine Teilniederlage erlitten.
Wie der Vorsitzende Richter am Londoner High Court mitteilte, soll der Umfang des für Oktober geplanten Berufungsverfahrens nun um mehrere Punkte erweitert werden.
Die US-Justiz will Assange in den Vereinigten Staaten wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen dort bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Eine Richterin in London hatte das Auslieferungsbegehren im Januar jedoch mit Hinblick auf Assanges angegriffene psychische Gesundheit und die zu erwartenden Haftbedingungen in den USA abgelehnt. Gegen diese Entscheidung legte die US-Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Hauptverfahren soll voraussichtlich am 27. und 28. Oktober stattfinden.
Konkret vorgeworfen wird Assange, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte.
Die US-Seite zieht die Unabhängigkeit eines Experten bei der Beurteilung von Assanges Gesundheitszustand in Zweifel. Er habe die Beziehung des Australiers mit der Anwältin Stella Moris während dessen Zeit in der ecuadorianischen Botschaft und die beiden Kinder des Paares in einem ersten Gutachten verschwiegen und so seine Glaubwürdigkeit verspielt, so die US-Argumentation. Auch die Einschätzung der Richterin in erster Instanz, dass sich der 50-Jährige im Gefängnis in den Vereinigten Staaten das Leben nehmen könnte, müsse nochmals überprüft werden, argumentierte die US-Anwältin bei der Anhörung am Mittwoch.
Beide Punkte sollen nun entgegen einer früheren Entscheidung Teil des Berufungsverfahrens sein. Auch soll die US-Justiz die Gelegenheit erhalten, Garantien dafür zu präsentieren, dass Assange nicht übermäßig harten Haftbedingungen ausgesetzt wird, und auch formale Fragen sollen eine Rolle spielen.
Für den 50-Jährigen ist dies ein Rückschlag. Der Australier wurde per Videoschalte aus dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten der britischen Hauptstadt zugeschaltet. Er trug langes, zurückgekämmtes Haar, eine Brille mit großen Gläsern und ein locker sitzendes weißes Hemd. Von seinem Kragen hingen zu beiden Seiten die Enden einer Krawatte lose herunter.
Moris zeigte sich nach der Entscheidung schwer enttäuscht. Sie kämpfte mit den Tränen, als sie vor dem Gerichtsgebäude vor die Presse trat. Seit Jahren würden sie alle mit Todesdrohungen terrorisiert. „Was hier heute nicht diskutiert wurde, ist, warum ich um meine Sicherheit, die Sicherheit unserer Kinder und Julians Leben fürchte“, sagte Moris.
Die Londoner Vertreterin der Organisation Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, rief die USA auf, die Vorwürfe fallen zu lassen. „Es ist offensichtlich, dass die aktuelle Strategie der US-Regierung ist, dies bis zum bitteren Ende zu verfolgen. Doch das müsste sie nicht tun“, sagte sie.
Dutzende Unterstützer Assanges hatten sich bereits in den Morgenstunden vor dem Gericht versammelt. Mit „Free-Assange“-Plakaten und Sprechchören forderten sie über Stunden hinweg die sofortige Freilassung des 50-Jährigen. „Es gibt nur eine Entscheidung: keine Auslieferung“, schallte es wieder und wieder über den Vorplatz.
Ein Mann hatte sich als Freiheitsstatue mit Blut an den Händen verkleidet - eine klare Schuldzuweisung in Richtung Washington. Mehrere Demonstranten warfen US-Präsident Joe Biden auf ihren Plakaten vor, die Pressefreiheit hinter Gittern einzusperren. Eine 47-jährige Frau aus Manchester sagte: „Es sitzt die falsche Person im Gefängnis. Es sollten die Personen zur Verantwortung gezogen werden, die Kriegsverbrechen begangen haben. Nicht die, die sie veröffentlicht haben.“
Der Wikileaks-Gründer sitzt inzwischen bereits seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis. Zuvor hatte er sich beinahe sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Behörden entzogen. Ihre Beziehung hatten Assange und Moris aus Sorge um die Sicherheit der Familie lange geheim gehalten.
Moris hatte der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview im Juni erzählt, Assange notfalls im Gefängnis heiraten zu wollen, sollte sich das juristische Hin und Her um die Auslieferung weiter fortsetzen. Das dürfte nun etwas wahrscheinlicher geworden sein.
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