Berlin (dpa)

Städte müssen sich gegen Klimawandel rüsten

Alexander Sturm und Martina Herzog, dpa
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Von Alexander Sturm und Martina Herzog, dpa
| 13.08.2021 06:23 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Mit dem Klimawandel stehen Menschen in der Stadt wie auf dem Land vor Gefahren durch mehr Extremwetter. Nach der Hochwasserkatastrophe fordern Städtetag und Architekten ein Umdenken am Bau.

Starkregen, Hitze, Überflutungen: Mit dem Klimawandel nimmt Extremwetter zu. Daran ließ der jüngste Bericht des Weltklimarats keinen Zweifel.

Auch das verheerende Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat viele Menschen aufgeschreckt. Architekten, der Städtetag und die Baubranche fordern nun, Städte und Infrastruktur gegen den Klimawandel zu rüsten. Klar ist: In Ballungsräumen sind andere Lösungen gefragt als auf dem Land.

„Wir müssen Siedlungen in der Stadt und auf dem Land widerstandsfähiger machen gegen den Klimawandel, der mehr Starkregen und Hitze bringt“, sagt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, der dpa. Ein Konzept, das nicht neu sei, aber mit dem jüngsten Hochwasser an Brisanz gewonnen habe, sei die „Schwammstadt“. Mit dem Prinzip einer Stadt, die Wassermassen wie ein Schwamm aufnehme und verzögert abgebe, könne man Regen speichern, anstatt ihn in Kanäle zu leiten, die bei Starkregen überlaufen.

Das Konzept könnte auch zur Kühlung von Städten beitragen, sagt Gebhard. Bepflanzte Fassaden oder Dächer schützten vor Überhitzung und speicherten bei Starkregen Wasser. Nötig seien zudem mehr unversiegelte Böden. „Anstelle von Hitzeinseln in Asphalt- und Betonwüsten müssen wir Entsiegelungen vorantreiben.“ Die klimagerechte Stadt der Zukunft müsse mit weniger Parkplätzen auskommen und stattdessen Rückhalteflächen für Verdunstungen haben.

Kreative Wege im Kampf gegen den Klimawandel gibt es etwa im Berliner Schumacher Quartier, das auf dem ehemaligen Flughafen Tegel entsteht. Das Viertel für über 10.000 Menschen, in dem 2027 die ersten Wohngebäude fertig sein sollen, setzt auf die Idee der Schwammstadt.

Eine wichtige Rolle spielen dabei begrünte Dachflächen: Wasser soll nach dem Kaskadenprinzip auf mehreren Ebenen gespeichert werden, damit möglichst viel verdunstet. Pflanzen kühlen ihre Umgebung zudem ab. Von Dächern fließt überschüssiges Wasser nach der Idee der Planer weiter in freie Flächen sowie in ebenfalls bepflanzte Verdunstungs- und Rückhalteflächen. Als letzte Stufen helfen Versickerungsmulden. Platz schafft das Quartier, indem es keinen Platz für Parkplätze in den Straßen vorsieht. Autos werden am Rand in Garagen des Viertels untergebracht - eine Idee, die nicht überall umsetzbar ist. Auch gegen Hitze haben die Planer Ideen. Begrünte Fassaden sollen ein Aufheizen verhindern und helle, glatte Materialien die Solarstrahlung besser reflektieren als dunkle, raue Baustoffe.

„Der Klimawandel fordert die Städte heraus“, sagt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. Städte müssten mit Starkregen und drohenden Überflutungen ebenso zurechtkommen wie mit trockenen Hitzeperioden und Wassermangel. „Das Konzept der Schwammstadt verbindet diese Gegensätze“, so Dedy. „So kann bei Starkregen überschüssiges Wasser aufgefangen und in Dürreperioden zur Wasserversorgung und Kühlung genutzt werden.“ Doch der Umbau zur Schwammstadt koste viel Geld: „Die bisherigen Förderprogramme reichen dafür nicht aus.“

Lehren aus dem Hochwasser

Geld für mehr Grün in den Städten gibt es zwar schon von Bund und Ländern. Wie viel, ist aber schwer zu beziffern, weil die Mittel Teil größerer Programme zur Städtebauförderung sind. Seit vergangenem Jahr müssen Projekte zur Städtebauförderung zwingend Maßnahmen für den Klimaschutz beziehungsweise die Anpassung an ihn umfassen, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Dabei gehe es gerade um die „Verbesserung der grünen Infrastruktur“. Gefördert werden aber auch klimafreundliche Mobilität oder der Einsatz bestimmter Baustoffe.

Insgesamt stehen für Städtebauförderung im aktuellen Haushaltsjahr laut Bundesinnenministerium 790 Millionen Euro bereit. Dazu kommen 300 Millionen Euro für die Jahre 2021 bis 2024 aus dem Extra-Programm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“. Auch ein Teil der 65 Millionen Euro aus dem Programm „Energetische Stadtsanierung - Klimaschutz und Klimaanpassung im Quartier“ soll in die Widerstandsfähigkeit von Städten gegen Starkregen fließen. Das Bundesumweltministerium wiederum fördert Konzepte für Schwammstädte.

Der Gedanke der Schwammstadt stehe seit einigen Jahren in jedem Stadtentwicklungsplan, sagt Gebhard. „Manches wurde vor Jahren noch belächelt, doch das Bewusstsein für den Klimawandel ist gewachsen.“ Dennoch gebe es Nachholbedarf. „Klimagerechtes Bauen muss in der neuen Legislaturperiode in einem eigenen Bauministerium einen größeren Stellenwert bekommen.“ Denkbar seien auch Gelder für Aufstockungen oder die Entsiegelung von Innenhöfen.

Doch was tun gegen Gefahren durch den Klimawandel auf dem Land? Erweitert bedeute die „Schwammlandschaft“ weniger Flächenverbrauch, Aufstockungen statt Neubaugebiete, mehr Platz für den natürlichen Lauf von Flüssen sowie Rückhalteflächen, erläutert Gebhard.

Gerade in Sachen Versiegelung sehen der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft und der Deutsche Naturschutzring Versäumnisse. „Das Ziel der Bundesregierung, die Versiegelungsrate auf maximal 30 Hektar am Tag zu reduzieren, ist bis heute nicht erreicht“, kritisierten sie jüngst. Auch müsse man Flüssen mehr Raum geben. Nur ein Drittel der ehemaligen Überschwemmungsflächen an Flüssen könne heute als Rückhalteflächen bei Hochwasser geflutet werden. Helfen könnten Auen als natürliche Rückhalteräume.

Das Baugewerbe fordert ebenfalls Lehren aus dem Hochwasser. „Es wird keine exakte Nachbildung der städtischen Struktur vor der Flut geben können“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. „Selbst wenn beispielsweise in der Ahr-Region bereits gute Konzepte zum Hochwasserschutz etabliert sind, wird man zusätzliche Polderflächen schaffen und flussnahe Gebiete teilweise renaturieren.“ Konzepte müssten aber praxisgerecht sein, meint Pakleppa. „Allein durch ein Bündel neuer baurechtlicher Vorgaben ist noch kein Gebäude vor Hochwasser geschützt.“

© dpa-infocom, dpa:210813-99-825092/2

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