Trier (dpa)

Prozess um Amokfahrt in Trier beginnt

Birgit Reichert, dpa
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Von Birgit Reichert, dpa
| 19.08.2021 00:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Die Amokfahrt in Trier hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Ein Mann raste mit einem SUV durch die Fußgängerzone, tötete und verletzte gezielt Passanten. Nun kommt der mutmaßliche Täter vor Gericht.

Fünf Menschen hatten keine Chance, als der Amokfahrer sie in der Fußgängerzone erfasste und tötete. Gezielt, wahllos und mit hohem Tempo steuerte er Passanten in der belebten Einkaufsstraße in Trier mit seinem PS-starken Sportgeländewagen an.

In der Absicht, „möglichst viele Menschen zu töten oder zumindest zu verletzen“ - formulierte die Staatsanwaltschaft. Die Amokfahrt am 1. Dezember 2020 dauerte nur wenige Minuten: Sie hinterließ neben den Toten zahlreiche Verletzte, rund 300 Traumatisierte und eine Stadt unter Schock.

An diesem Donnerstag (19. August) beginnt vor dem Landgericht Trier der mit Spannung erwartete Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 51-Jährigen fünffachen Mord und versuchten Mord in 18 weiteren Fällen vor. 14 Menschen wurden bei der Amokfahrt schwer verletzt, vier hatten dem Fahrzeug noch im letzten Moment ausweichen können.

Am ersten Prozesstag ist nach Angaben des Gerichts die Verlesung der Anklage vorgesehen. Zeugen seien noch nicht geladen, sagte eine Sprecherin. Insgesamt sind 26 Termine bis Ende Januar 2022 angesetzt.

Klar ist bereits: Der Prozess wird Wunden wieder aufreißen. 14 Nebenkläger sind laut Gericht dabei. Sie vertreten Angehörige von Opfern oder Geschädigte selbst. Bei der Tat starben ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Etliche der Verletzten rangen monatelang um ihr Leben. Für viele Angehörige hat sich das Leben komplett verändert.

Motiv bislang unklar

Für sie und die Trierer Bürger wird ein zentrales Thema im Prozess die Frage nach dem Motiv des Täters sein. Das ist bislang unklar. „Es bleiben viele ungeklärte Fragen nach dem Warum“, sagte der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD). „Warum tut ein Mensch so etwas? Warum bringt er wahllos unschuldige Menschen um, verletzt andere so schwer, dass sie bis an ihr Lebensende von dieser Tat gezeichnet sein werden?“ Das treibe viele um.

Laut Staatsanwaltschaft hat der Deutsche bisher „im Wesentlichen behauptet, an Einzelheiten des Tatgeschehens keine Erinnerung zu haben“. Man gehe daher davon aus, dass er aus persönlichen Motiven gehandelt habe. Er sei alleinstehend, arbeitslos, ohne festen Wohnsitz und offenbar durch seine persönlichen Lebensumstände frustriert gewesen, hieß es. Um Hintergründe und Tat aufzuklären, hat die Staatsanwaltschaft insgesamt 291 Zeugen benannt, sagte der Leitende Trierer Oberstaatsanwalt Peter Fritzen.

Für Opfer und Angehörige sei der Prozess „ein Meilenstein in der Verarbeitung“, sagte Bernd Steinmetz für die Stiftung Katastrophen-Nachsorge. Die Belastung für die Betroffenen werde sehr stark vom Prozessverlauf abhängen. „Gäbe es zu Beginn des Prozesses eine Einlassung zur Schuldfrage und zum Motiv, wäre das eine Riesenerleichterung für alle Betroffenen.“

Wenn nicht, werde „der Alptraum unter Umständen über den gesamten Prozessverlauf fortgesetzt“. Steinmetz ist über die Stiftung in die Betreuung der Opfer und Hinterbliebenen eingebunden.

Nach vorläufiger Einschätzung eines psychiatrischen Sachverständigen leidet der Angeklagte an einer Psychose. Über die Frage der Schuldfähigkeit werde das Gericht in der Verhandlung entscheiden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Zur Tatzeit hatte der Amokfahrer eine Alkoholkonzentration im Blut von 1,12 Promille.

Der 51-Jährige konnte kurz nach der Tat festgenommen werden: Er hatte nach der tödlichen Fahrt das Auto abgestellt und eine Zigarette geraucht. Polizisten trafen den Mann stehend am Heck des Wagens an, hatte der Trierer Polizei-Vizepräsident Franz-Dieter Ankner berichtet. „Dort sah er den Einsatzkräften grinsend entgegen.“ Die Beamten hätten ihn dann überwältigt.

Die Amokfahrt hatte in Trier einen tagelangen Schockzustand und anhaltende Trauer ausgelöst. Bürger stellen vielerorts Kerzen auf: an den Stellen, wo Menschen in den Tod gerissen wurden, und an der Porta Nigra - in Gedenken an die Opfer und deren Angehörige. Leibe hatte in den Tagen danach gesagt: „Trier trauert, Trier leidet, Trier resigniert aber nicht.“

Gedenkfeier zum Jahrestag

Jetzt kündigte er an, es werde zum Jahrestag der Tat eine Gedenkfeier geben. „Die Amokfahrt ist immer noch sehr präsent.“ In der Stadt solle künftig sichtbar der Opfer gedacht werden. Wie - das sei noch nicht entschieden und werde mit den Angehörigen abgestimmt. Zuletzt hätten Hinterbliebene signalisiert, dass sie gern ein dezentrales Gedenken an den Orten hätten, an denen es Opfer gegeben habe.

Damit Taten wie diese nie wieder in Trier passieren können, hat der Stadtrat jüngst ein Konzept beschlossen, um die Innenstadt sicherer zu machen: Die City wird in zehn Zonen aufgeteilt, die durch Barrieren voneinander abgetrennt sind. Eine „Überfahrt“ von einer Zone in eine Nachbarzone ist damit nicht mehr möglich. „Damit soll verhindert werden, dass Fahrzeuge auf langen geraden Strecken eine hohe Geschwindigkeit aufnehmen können“, hieß es. Dazu werden an 38 Stellen Poller, massiv verankerte Bänke und Sitzsteine platziert.

© dpa-infocom, dpa:210818-99-880127/4

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