Berlin (dpa)

Schulstart mit Delta-Variante - geht das gut?

Gisela Gross und Ulrike von Leszczynski, dpa
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Von Gisela Gross und Ulrike von Leszczynski, dpa
| 24.08.2021 03:36 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Schulen sollen im zweiten Pandemie-Herbst möglichst geöffnet bleiben. Wie stehen angesichts der Verbreitung der hochansteckenden Delta-Variante die Chancen dafür, dass das klappt?

In immer mehr Bundesländern gehen die Ferien zu Ende, die Schulen starten mit Präsenzunterricht. Wie lange kann das in der laufenden vierten Welle mit der so ansteckenden Delta-Variante gut gehen?

Bei der Einschätzung könne ein Blick nach England helfen, sagt der Berliner Virologe Christian Drosten. Trotz mehrfacher Tests pro Woche seien die Fallzahlen dort vor allem bei Schülerinnen und Schülern der 7. bis 11. Klassen nicht unter Kontrolle geblieben. Wie problematisch ist das und was könnte das für Deutschland bedeuten?

Ausbreitung an Schulen abgebremst

Eine zentrale Frage ist, wie viele Kinder hierzulande bereits infiziert waren. „Mehr als zehn Prozent sind es nicht“, schätzt Charité-Forscher Drosten. Ein Grund für diese Annahme sei, dass an den Schulen bundesweit wesentlich stärker mit Maßnahmen und Tests auf mögliche Übertragungen kontrolliert wurde als etwa an vielen Arbeitsplätzen. Die Ausbreitung des Coronavirus wurde dadurch an den Schulen abgebremst.

Zwar habe es im Sommer recht viele Erkältungen bei Kindern gegeben, sagt Drosten. Hoffnung auf eine überstandene Corona-Infektionen sollten sich Eltern deshalb aber nicht machen: „Die Erkrankungen gingen vor allem auf normale bekannte Erkältungsviren zurück.“ Die Ferien hätten die Lage in Sachen Corona also kaum verändert.

Es gelte, bei den Kindern den Mittelweg zwischen rasanter Durchseuchung und strengsten Vermeidungsmaßnahmen zu finden, so der Virologe. „Ein kontrolliert schwelendes Geschehen muss man akzeptieren, wenn der Schulbetrieb laufen soll. Man wird nicht jegliche Verbreitung an Schulen unterbinden können, aber möglichst eine unkontrollierte Ausbreitung.“

Fokus auf Lehrer und Eltern

Ganz zentral bleibe bei den Schulen das Erwachsenen-Umfeld. Lehrer und Eltern sollten möglichst zu 100 Prozent geimpft sein, betont Drosten. Vorstellbar seien etwa Impfkampagnen für Eltern an den Schulen. Denn: „Natürlich dürfen die Schulen möglichst nicht noch einmal geschlossen werden.“

Auch der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb erklärt, es werde ein maximal hoher Impfschutz in der Erwachsenen-Bevölkerung gebraucht, um nicht immune Kinder zu schützen. Zwar könnten Schulen darauf vertrauen, nicht als Erstes geschlossen zu werden - das sei eine der Lehren aus dem Vorjahr. Allerdings könnten Ausbrüche natürlich zu vorübergehenden lokalen Schließungen führen. „Das könnte aufgrund von Delta gegebenenfalls sogar öfter vorkommen.“

Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hält es generell für wichtig, dass sich so viele Erwachsene wie möglich impfen lassen. „Das ist wichtig für den Eigenschutz, aber eben auch, um diejenigen zu schützen, die sich nicht beziehungsweise noch nicht impfen lassen können. Dazu zählen insbesondere auch Kinder.“

Die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt weist darauf hin, dass sich besonders bei der Delta-Variante rasch sehr viele Menschen infizieren können. „Es wird also bei einer tolerierten Ausbreitung des Virus an den Schulen durch die große Anzahl an nicht geimpften Schülerinnen und Schülern fast zwangsläufig auch in dieser Gruppe zu schweren Verläufen kommen.“

Nachfrage nach Kinderimpfungen hoch

Unterdessen beobachten Kinderärzte eine hohe Nachfrage nach Impfungen in den Praxen, seit die Ständige Impfkommission Mitte August eine uneingeschränkte Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren ausgesprochen hat. Auf die medizinische Empfehlung der Kommission hätten viele Eltern gewartet, hatte Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, gesagt. Neben dem Gesundheitsschutz für ihre Kinder gehe es vielen nun auch darum, mit Hilfe der Impfungen neue Schulschließungen möglichst zu verhindern.

Ungeachtet dessen bleiben die etablierten Hygiene- und Testkonzepte an den Schulen enorm wichtig, um die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu halten. Hier sieht Virologe Drosten Nachbesserungsbedarf. „Einerseits ist die bisherige Dauer der Quarantäne für Schüler von Klassen, in denen Covid-19-Fälle bestätigt wurden, unerträglich lange“, sagt er. Statt der geltenden 14 Tage sollten die Schüler künftig nur fünf Tage in Quarantäne geschickt werden. Das sei ein akzeptabler Zeitraum.

Zudem müsse man wegen der Impfung der Erwachsenen nicht mehr jede nur denkbare Übertragung in den Schulen verhindern, so Drosten. „Die Krankheitslast bei Schülern ohne Vorerkrankungen ist geringer. Übersehene Einzelfälle werden durch kontinuierliche Testung erkannt. “ Es solle aber künftig nicht wie bisher mit der Quarantäne gewartet werden, bis ein zweiter Covid-19-Fall in der Klasse vorliege. „Besser ist Quarantäne für die ganze Klasse sofort beim ersten Fall, das aber kurz.“

Drosten: Lolli-Tests keine dauerhafte Alternative

Um infizierte Kinder frühzeitig aufzuspüren, ruhen einige Hoffnungen auf sogenannten Lolli-Tests: Dabei lutschen Kinder und Erwachsene einer Schulklasse oder Kindergartengruppe etwa 30 Sekunden lang an jeweils einem Tupfer wie bei einem Lolli. Sämtliche Tupfer werden anschließend zusammen als eine Probe im Labor mit der zuverlässigen PCR-Methode untersucht. Ist sie positiv, müssen die Beteiligten einen weiteren Lolli-Test machen, bei dem die Proben einzeln analysiert werden, um herauszufinden, wer infiziert ist.

Darin sieht Drosten allerdings keine dauerhafte Alternative. Ab Herbst werde es wieder einen hohen Druck auf die Kapazitäten der PCR-Test-Labore aus den Kliniken geben, wenn dort die Patientenzahlen wieder stiegen. „Und Krankenhäuser gehen vor.“ Die herkömmlichen Antigen-Selbsttests werden daher aus seiner Sicht auch im Herbst und Winter der Standard bleiben.

Mit einer Entwicklung wie in den USA, wo zur Zeit vergleichsweise viele Minderjährige mit Corona-Infektion in Kliniken eingeliefert werden, rechnen Kinder- und Jugendärzte in Deutschland bisher nicht. Von Anfang an habe es in den USA unter Jugendlichen deutlich mehr Covid-19-Todesfälle gegeben als hierzulande, sagt Sprecher Maske. Die Gründe dafür ließen sich nur erahnen. Eine Rolle können Übergewicht, Diabetes, aber auch bestimmte Lebensumstände spielen. In Deutschland wurden vom Robert Koch-Institut (RKI) seit Beginn der Pandemie rund 20 Covid-19-Todesfälle bei Menschen unter 20 Jahren registriert, alle hatten schwere chronische Vorerkrankungen.

Prinzipiell scheint das kindliche Immunsystem auf die Attacken von Sars-CoV-2 besser vorbereitet zu sein als das von Erwachsenen: Die Zellen der oberen Atemwege befinden sich einer Untersuchung zufolge bereits in erhöhter Alarmbereitschaft und können das Virus im Falle einer Infektion schnell bekämpfen, bevor es sich massiv vermehrt. Das erklärt vermutlich, warum Kinder sehr viel seltener als Erwachsene schwer an Covid-19 erkranken, wie Forschende aus Berlin und Heidelberg jüngst im Fachmagazin „Nature Biotechnology“ berichteten.

© dpa-infocom, dpa:210824-99-943594/6

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