Berlin (dpa)

50 Jahre Bafög - Rufe nach grundlegender Reform

Jörg Ratzsch, dpa
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Von Jörg Ratzsch, dpa
| 31.08.2021 09:14 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
2020 gab es laut Statistischem Bundesamt 639.000 Bafög-Empfänger. Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn
2020 gab es laut Statistischem Bundesamt 639.000 Bafög-Empfänger. Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn
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Studieren ist nur was für Gutbetuchte - das war einmal. Seit 50 Jahren ermöglicht das Bafög auch jungen Menschen aus Familien mit wenig Einkommen ein Studium. Doch es gibt Reformbedarf.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat zum 50. Jahrestag der Bafög-Einführung eine positive Bilanz gezogen.

Auf die vielen persönlichen Erfolgsgeschichten, die dadurch ermöglicht worden seien, könne man als Gesellschaft stolz sein, sagte die CDU-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. „50 Jahre Bafög sind ein beispielloser nationaler Kraftakt für Chancengerechtigkeit in Deutschland.“

Karliczek sprach sich zugleich für eine Reform der Studienförderung nach der Bundestagswahl aus. „Wir sollten das Bafög in der nächsten Legislaturperiode weiterentwickeln und flexibilisieren.“ Die Bildungsministerin kann sich eine Erhöhung der Altersgrenze beim Bafög vorstellen, damit auch Menschen, die sich später im Leben für ein Studium entscheiden, die Leistung beantragen können.

Zahl der Empfänger hat abgenommen

Kritische Stimmen zum Jubiläum kommen von Opposition, Gewerkschaften und vom Deutschen Studentenwerk (DSW), das sich um die Bearbeitung der Bafög-Anträge und die Auszahlung der Leistung kümmert. Sie fordern grundlegende Reformen, da die Zahl der Bafög-Empfänger laut Statistischem Bundesamt von Jahr zu Jahr weiter sinkt.

Nach einem Höchststand von 979.000 Bafög-Empfängern (einschließlich Schüler-Bafög) im Jahr 2012 lag die Zahl laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr bei nur noch 639.000. Die Gründe dafür liegen nach Überzeugung des Deutschen Studentenwerks unter anderem darin, dass die Leistung über die Jahre nicht kräftig genug reformiert, ausgebaut und an neue Lebensrealitäten von Studentinnen und Studenten angepasst wurde. Kritisiert wird auch immer wieder eine zu komplizierte Antragsstellung.

Ein Blick zurück: Am 1. September 1971 trat das „Bundesausbildungsförderungsgesetz“ (Bafög) in Kraft. Die dafür zuständige Bundesjugendministerin Käte Strobel (SPD) sprach damals von einem „ganz erheblichen Stück Weg zum Abbau von Bildungsschranken.“ Die Ausbildungsförderung werde „einen ganz beachtlichen, ja, entscheidenden Schritt“ zugunsten besserer Bildungschancen vorangebracht.

Das Bafög wurde über die Jahre mehrfach reformiert. Erst war es ein reiner Zuschuss ohne Rückzahlung. Später wurde es zum Volldarlehen umgewandelt. Seit 1990 gilt die Regel: Eine Hälfte gibt's geschenkt, die andere muss zurückgezahlt werden, allerdings inzwischen nicht mehr als 10.010 Euro. Die Bafög-Höhe bemisst sich unter anderem am Einkommen der Eltern und am Vermögen. Derzeit gibt es maximal 861 Euro.

Laut Statistischem Bundesamt haben mehr als 36 Millionen Menschen seit Beginn der Erhebung durch das Amt im Jahr 1975 die Leistung erhalten. Am Anfang profitierten laut Hochschulrektorenkonferenz 270.000 von 606.000 eingeschriebenen Studentinnen und Studenten davon (44,6 Prozent). 2020 waren es nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts 466.000, bei inzwischen allerdings 2,9 Millionen eingeschriebenen Studentinnen und Studenten.

Verfehlt das Bafög sein ursprüngliches Ziel?

Vom ursprünglichen Ziel des Bafög, Chancengleichheit im Bildungssystem herzustellen, sei nicht mehr viel übrig, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack, der dpa. Deutschland könne und dürfe es sich nicht leisten, Arbeiterkinder von ihren Bildungschancen abzuschneiden.

„Statt der von Karliczek versprochenen Trendumkehr geht die kontinuierliche Talfahrt des Bafög weiter“, kritisierte der hochschulpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Kai Gehring. Die letzte Bafög-Reform von 2019, bei der unter anderem Freibeträge bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen erhöht wurden, um den Kreis der Empfänger zu vergrößern, entpuppe sich als Voll-Flop. Gehring forderte einen Neustart „mit einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende“.

Kritisch äußerte sich auch die Linke: Die Bundesregierung habe die notwendige große Reform verschleppt, sagte Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler. Der allgemeinen Kritik schlossen sich auch Studierendenverbände, Nachwuchsorganisationen von Parteien, Gewerkschaften und andere Jugendverbände an. Die FDP-Fraktion im Bundestag verwies auf ihre Reform-Vorschläge: Eine Grundförderung von 200 Euro pro Monat für alle Studentinnen und Studenten, die nicht zurückgezahlt werden muss. Dazu kämen weitere nicht zurückzuzahlende 200 Euro, wenn im Studium nebenbei gearbeitet oder ein Ehrenamt ausgeübt wird.

Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, sprach zum 50. Bafög-Jubiläum von einer Erfolgsgeschichte. Der Handlungsdruck sei aber groß. „Wir müssen das Bafög fit machen für die kommenden 50 Jahre, und dazu gehört weit mehr als quantitative Erhöhungen der Fördersätze und Elternfreibeträge.“ Das DSW spricht sich dafür aus, die Leistung wieder zum Vollzuschuss zu machen - also ohne Rückzahlungspflichten - wie in den Bafög-Anfangszeiten. Außerdem fordern die Studentenwerke eine Ausweitung der Förderhöchstdauer. Außerdem sollte der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet wird, so dass auch Studierende aus Elternhäusern mit mittlerem Einkommen Zugang zum Bafög bekommen.

Mittelfristig schlägt das DSW ein „Drei-Körbe-Modell“ vor: Eine finanzielle Grundförderung für alle Studierenden, die über der Höhe des Kindergelds liegt, plus Bafög, das sich nach Bedarf und Einkommen richtet, plus einem Betrag für Einmalausgaben zum Semesterbeginn, beispielsweise für einen Laptop oder den Semesterbeitrag.

© dpa-infocom, dpa:210831-99-33279/4

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