Genf/Berlin (dpa)
WHO-Frühwarnzentrum für Pandemien in Berlin eingeweiht
Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wann“ die nächste Pandemie kommt, sind Experten sicher. Um Signale früh zu erkennen und Risiken besser einschätzen zu können, entsteht in Berlin jetzt ein Frühwarnzentrum.
Potenziell tödliche neue Erreger sollen künftig viel früher als bei der Corona-Pandemie entdeckt werden. Dafür ist in Berlin am Mittwoch ein neues Pandemiefrühwarnzentrum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeweiht worden.
Es soll künftig schon vor dem Beginn einer Pandemie Alarm schlagen. Regierungen wären dann in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen, bevor ein Virus sich in der ganzen Welt ausbreitet.
„Wir wollen besser gewappnet sein bei künftigen Epidemien und Pandemien“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Einweihung, an der auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) teilnahmen.
Das Zentrum soll unter anderem mithilfe von künstlicher Intelligenz Unmengen von Daten analysieren. Dabei geht es etwa um Tiergesundheit, ungewöhnliche Krankheiten bei Menschen, Verhaltensänderungen der Menschen, Klimawandelfolgen oder Bevölkerungsverschiebungen. So sollen Muster früh erkannt werden. Es soll Modelle entwickeln, damit Risiken frühzeitig erkannt und besser eingeschätzt werden können.
Umzug auf eigenen Campus
Das Zentrum ist zunächst beim Kooperationspartner, der Universitätsklinik Charité, angesiedelt, soll aber noch in diesem Jahr auf einen eigenen Campus in Kreuzberg ziehen. Direktor wird der in Deutschland geborene nigerianische Epidemiologe Chikwe Ihekweazu, der bislang die Gesundheitsbehörde Nigerias leitet. Die Vision für das Zentrum sei kühn, sagte Ihekweazu, und zitierte dann ein Sprichwort: „Dinge scheinen unmöglich, bis man sie tut.“
Berlin als Standort ist kein Zufall: zum einen, weil die Expertise unter anderen an der Charité, im Robert-Koch-Institut und dem Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering in Potsdam vorhanden ist. Zum anderen ist Deutschland zum größten Beitragszahler der WHO geworden. Die Bundesrepublik trägt nach aktuellen Zahlen gut ein Viertel zum laufenden Zweijahresbudget bei. Berlin hat nach Angaben von Spahn 30 Millionen Euro pro Jahr für das Zentrum zugesagt.
Das Auftauchen eines neuen Virus mit weltweiten Gefahren ist nur eine Frage der Zeit, wie Gesundheitsexperten warnen. Signale müssten deshalb systematisch überwacht werden. Dann könnten Regierungen früher und konsequenter handeln als nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang vergangenen Jahres. Nach dem Auftauchen der ersten Covid-19-Fälle in Wuhan in China Ende 2019 war lange unklar, ob das neue Coronavirus sich von Mensch zu Mensch überträgt. Internationale Reiserestriktionen wurden erst verhängt, nachdem Infizierte aus Wuhan bereits in alle Welt gereist waren.
Abhängig von Ländern wie China
Der Erfolg des Zentrums steht und fällt aber mit der Kooperationsbereitschaft der Länder. Denn die Daten müssen wissenschaftliche Institute und Labore aus aller Welt liefern. Das geschieht auf freiwilliger Basis und wird von Regierungen gesteuert. Das Beispiel Corona weckt Skepsis: China enthält der WHO bei der Suche nach dem Ursprung des Coronavirus bis heute wichtige Daten über die ersten bekannten Corona-Patienten vor. Gesundheitsminister Spahn rief China namentlich auf, diese Lücke schnellstens zu schließen. Als Grund gibt Peking den Persönlichkeitsschutz der Patienten an, wie internationale Mitglieder der WHO-Delegation berichteten. Dabei können solche Daten völlig anonymisiert aufbereitet werden.
Bislang unterhalten neben der WHO auch die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) Datenbanken, in die Regierungen auf freiwilliger Basis Informationen einspeisen. Hinweise auf die Corona-Pandemie wurden damit aber nicht früh genug entdeckt.
Die weltweite Allianz „Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung“ (CEPI) lobte den deutschen Beitrag zur globalen Gesundheit. Berlin ist auch größter Geber bei CEPI. Merkel habe Deutschland zu einer treibenden Kraft im Bereich der globalen Gesundheit und der internationalen Zusammenarbeit gemacht, „wofür die Welt sehr dankbar sein kann“, sagte CEPI-Chef Richard Hatchett.
Auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus nutzte am Mittwoch die Gelegenheit, Merkel zum Ende ihrer Kanzlerschaft für ihren und Deutschlands Beitrag zur Förderung der globalen Gesundheit zu danken. „Eine Frau, die sagt, was sie meint, und meint, was sie sagt“, lobte Tedros. Er hängte ihr eine WHO-Verdienstmedaille um den Hals, die die Kanzlerin aber wieder zurück ins Kästchen legte.
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