Stuttgart (dpa)
Baden-Württemberg hält trotz Kritik an Meldeplattform fest
Mit dieser Kritik dürfte Baden-Württembergs Grünen-Finanzminister Danyal Bayaz nicht gerechnet haben. Seine Online-Meldeplattform für Hinweise auf Steuerbetrug sollte nur die gängige Praxis ergänzen.
Seit seinen Auftritten im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags gilt Danyal Bayaz als Jäger, nun muss sich der Grünen-Politiker aus Baden-Württemberg selbst vorkommen wie ein Gejagter.
Die Aufregung um die bundesweit erste Online-Meldeplattform für Hinweise auf Steuerbetrug kann der neue Landesfinanzminister allerdings nicht nachvollziehen. Trotz scharfer Kritik und Internethetze will er das baden-württembergische Online-Modell für die Finanzämter weiterführen. „Wir sind davon überzeugt, dass es ein richtiger Schritt ist“, sagte Bayaz. Und deswegen halten wir selbstverständlich auch daran fest“, betonte der Landesminister am Donnerstag im Südwestrundfunk.
Baden-Württemberg habe lediglich etwas online eingeführt, das es bereits bundesweit gegeben habe. „Das gibt es bereits, dass sich in jedem Bundesland, beispielsweise auch in Bayern, Menschen anonym an die Steuerbehörden wenden können“, sagte Bayaz. „Nur eben nicht online. Aber das Mittel ist da, und über das Mittel wird ja offenbar gestritten.“ Das Hinweisportal sei ein „ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit“, hatte er bereits zuvor betont.
„Zu einem großen Teil Wahlkampfgetöse“
Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann wies die Kritik an der Meldeplattform zurück. „Das ist nicht wirklich skandalisierbar“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur am Rande eines Unternehmensbesuchs in Heidenheim. Man habe schon bisher anonym Steuerbetrüger anzeigen können - per Brief oder per Mail. „Insofern verstehe ich die Aufregung jetzt nicht wirklich.“ Es sei falsch, wenn Union und FDP behaupteten, mit dem Portal rufe das Finanzministerium die Menschen dazu auf, den Nachbarn anzuschwärzen. „Es geht eben nicht darum, dass jetzt der Nachbar sagt, der hat eine Putzfrau, die nicht ordentlich versteuert ist.“
Die Debatte hänge offensichtlich mit dem Bundestagswahlkampf zusammen, sagte Kretschmann. Das sieht der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, auch so: „Das ist zu einem großen Teil Wahlkampfgetöse“, sagte er dem „Handelsblatt“. Außerdem seien Begriffe wie „Stasi-Methoden“ und „DDR-Mentalität“ für die Steuerverwaltung „ehrabschneidend“. Anonyme Anzeigen gebe es, seit es Finanzämter gebe, betonte Eigenthaler. Das Portal in Baden-Württemberg sei eher eine Verbesserung, denn die Steuerverwaltung könne durch gezielte Rückfragen den „Anzeigenschrott“ von „werthaltigen Hinweisen“ trennen.
Gestritten wird auch über ein mögliches ähnliches Modell auf Bundesebene. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock lobt das Angebot aus Baden-Württemberg; sie kann es sich auch bundesweit vorstellen. „Wir müssen Orte schaffen, wo auch gemeldet werden kann, wenn man weiß, dass es zu heftigem Steuerbetrug kommt“, sagte die Grünen-Kanzlerkandidatin am Mittwochabend bei der „Bundestagswahl-Show“ im Fernsehsender ProSieben. Das werde nun in Baden-Württemberg gemacht und wäre eigentlich „auch Aufgabe eines Bundesfinanzministers gewesen“, sagte Baerbock. „Die nächste Bundesregierung sollte das auch einführen.“
Scholz bleibt zurückhaltend
Die politische Konkurrenz aus SPD und FDP sieht das rund drei Wochen vor der Bundestagswahl anders. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, sagte dem Fernsehsender Bild: „Das fördert eine Kultur des Misstrauens, der Missgunst, Unterstellung und Denunziation“ und dürfe sich „in unsere Gesellschaft nicht einschleichen“.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz äußerte sich dort zurückhaltender: Es sei „wichtig, dass wir alle fair unsere Steuern zahlen, und ich gehe davon aus, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger das auch tun“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Ansonsten gebe es dazu seit langem „sehr ordentliche Praktiken“, dann seien es „die Finanzbeamten, die ihre Arbeit leisten müssen“.
Für FDP-Parteichef Christian Lindner ist die Digitalisierung der Finanzverwaltungen zwar überfällig. Aber: „Was wir nicht brauchen, ist eine staatliche Aufforderung zu Denunziantentum unter Nachbarn“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag). Ähnlich formulierte es der Spitzenkandidat der Linken für die Bundestagswahl, Dietmar Bartsch: Die Meldeplattform öffne „dem Denunziantentum Tür und Tor“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag).
Zuvor hatten bereits Union und AfD bemängelt, mit dem „Steuerpranger“ im Internet werde Denunziation gefördert. Heftig attackiert wurde Bayaz auch in den sozialen Medien. Auf seinen Konten bei Twitter und Instagram gab es zahlreiche menschenverachtende, rassistische und sexistische Kommentare. Die übelsten Beleidigungen werde der Minister zur Anzeige bringen, teilte das Finanzministerium in Stuttgart mit.
Bis Ende des Jahres müsse Deutschland zudem eine EU-Richtlinie zum Schutz von sogenannten Whistleblowern umsetzen, begründete das Ministerium am Donnerstag den rechtlichen Hintergrund für die Plattform. Danach müssen Bundes- und Landesbehörden eine sichere Meldestelle für Insider anbieten, die Missstände oder kriminelle Machenschaften aufdecken oder weiterleiten.
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