Ottawa (dpa)

Trudeau gewinnt Wahl in Kanada - keine absolute Mehrheit

Benno Schwinghammer, dpa
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Von Benno Schwinghammer, dpa
| 21.09.2021 04:57 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Justin Trudeau, Premierminister von Kanada und Parteivorsitzender der Liberalen (Archivbild). Foto: Justin Tang/The Canadian Press via ZUMA/dpa
Justin Trudeau, Premierminister von Kanada und Parteivorsitzender der Liberalen (Archivbild). Foto: Justin Tang/The Canadian Press via ZUMA/dpa
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Justin Trudeau rief Neuwahlen inmitten der Corona-Pandemie aus, um in Kanada nach der absoluten Mehrheit zu greifen. Doch er verkalkulierte sich. Der liberale Sieg schmeckt fade.

Die liberale Partei von Ministerpräsident Justin Trudeau hat nach ersten Ergebnissen die vorgezogene Parlamentswahl in Kanada gewonnen. Zugleich blieb sie aber deutlich hinter dem Ziel einer absoluten Mehrheit zurück.

Die Regierungspartei errang nach Prognosen des öffentlichen Senders CBC bei der Abstimmung am Montag etwa 158 Mandate der 338 Mandate und ließ die Konservativen von Kontrahent Erin O’Toole mit ungefähr 119 Sitzen hinter sich. „Sie schicken uns mit einem klaren Auftrag zurück an die Arbeit, um Kanada durch diese Pandemie und in vor uns liegende, bessere Tage zu führen“, sagte Trudeau in seiner Siegesrede in der Nacht.

Trudeau auf Hilfe anderer Parteien angewiesen

Im flächenmäßig zweitgrößten Land der Erde ändert sich damit gegenüber den Wahlen von 2019 kaum etwas - für eine absolute Mehrheit wären 170 Mandate notwendig gewesen. Trudeau ist damit auch künftig auf die Hilfe anderer Parteien angewiesen. Die Regionalpartei aus Quebec kam den Prognosen zufolge auf 34 Sitze, die Mitte-Links-Partei der Neuen Demokraten (NDP) auf ungefähr 25 Sitze, die Grünen erreichten demnach voraussichtlich zwei Mandate.

EU-Ratspräsident Charles Michel gratulierte Trudeau zur Wiederwahl. „In diesen Zeiten brauchen wir solide Freundschaften, um multilaterale Lösungen zu unterstützen, und auf unsere starke Kooperation und gemeinsamen Werte aufzubauen“, schrieb Michel bei Twitter.

Der 49 Jahre alte Trudeau hatte die vorgezogene Abstimmung vor wenigen Wochen mit der Hoffnung auf eine absolute Mehrheit unter anderem aufgrund der relativ erfolgreichen Corona-Politik seiner Regierung ausgerufen. Seine Rechnung ging nicht auf, was einen faden Beigeschmack hinterlassen dürfte. „Glückwunsch an Justin Trudeau und all meine Freunde in Kanada dafür, dass ihr erfolgreich eine Wahl abgehalten habt, bei der absolut gar nichts passiert ist“, schrieb der US-Politikwissenschaftler Ian Bremmer bei Twitter.

Die Umfragen fielen zuletzt knapper aus, als die Liberalen es sich wünschten. Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien und viele Kanadier hatten ihnen vorgeworfen, trotz einer vierten Welle der Pandemie und einer relativ stabilen Minderheitsregierung nach der absoluten Mehrheit zu greifen - und damit Zeit im Kampf gegen Covid-19 zu verschwenden sowie die Gesundheit der Wähler potenziell zu gefährden.

„Unser Team, unsere Regierung ist bereit“

In seiner Rede ging Trudeau denn auch auf seine Skeptiker ein: „Ich habe Sie gehört. Sie wollen nicht mehr, dass wir über Politik oder Wahlen reden. Sie möchten, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren“. Der Premier nannte die Beendigung der Pandemie, den Kampf gegen die Klimakrise sowie bessere Angebote bei der Kinderbetreuung als Prioritäten. „Unser Team, unsere Regierung ist bereit“, so Trudeau.

Der konservative Spitzenkandidat O'Toole kritisierte Trudeau in seiner Rede unterdessen scharf. Der Ministerpräsident habe auf einen schnellen Griff nach der Macht gehofft. „Die Kanadier haben ihn mit einer weiteren Minderheitsregierung zum Preis von 600 Millionen Dollar und tieferen Spaltungen in unserem großartigen Land zurückgewiesen“. Die Gräben in der Gesellschaft dürften nicht aus egoistischen Gründen vertieft werden. Er warf Trudeau dabei vor, innerhalb von 18 Monaten erneut eine vorgezogene Wahl anzustreben.

Traditionell gibt es in Kanada keine Koalitionen

Generell kommt den Liberalen das Wahlsystem in Kanada eher zugute - aller Voraussicht nach erhielten die Konservativen am Montag erneut mehr Stimmen als die Trudeau-Partei, sind bei den Parlamentssitzen aber deutlich hinten. Die Mandate in den 338 Wahlkreisen werden nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit verteilt.

Entscheidend sind lediglich einige Dutzend umkämpfte Bezirke vor allem in den Vorstädten der Großstädte Toronto, Montreal und Vancouver - ein wenig vergleichbar mit den „Swing States“ in den USA. Trudeau regiert das nordamerikanische Land mit knapp 38 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern seit 2015 - von 2019 führte er das Land nur noch mit einer Minderheit der Sitze des Parlaments in der Hauptstadt Ottawa.

Traditionell gibt es in Kanada keine Koalitionen, sondern entweder absolute Mehrheiten oder Minderheitsregierungen mit durchschnittlich zweijähriger Halbwertszeit. Die letzte Abstimmung auf Bundesebene im Herbst 2019 brachte den Liberalen 157 Sitze, die Konservativen errangen 121. Die Liberalen haben im politisch moderaten Kanada historisch gesehen am häufigsten Regierungen gestellt. In diesem Wahlkampf dominierten neben der Klimakrise vor allem innenpolitische Themen wie die steigenden Lebenshaltungskosten und die Gesundheitsversorgung.

Trudeau hat Experten und Meinungsforschern zufolge trotz einiger politischer Erfolge ein Glaubwürdigkeitsproblem in Teilen der kanadischen Bevölkerung entwickelt. Dies habe mit großen, aber nicht immer gehaltenen Versprechungen und mehreren Skandalen zu tun. Trudeaus Star-Appeal, der 2015 die Wahl gegen den konservativen Stephen Harper mit dem Gelöbnis eines neuen, transparenten und modernen Führungsstils gewonnen hatte, hat sich nach sechs Jahren als Premier abgenutzt.

© dpa-infocom, dpa:210921-99-295114/11

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