Hanau (dpa)
Vater von Hanau-Attentäter: „Poche auf Rechtsstaatlichkeit“
Ein Gutachter spricht von einer wahnhaften Störung, von Sendungsbewusstsein und „Kampf-Paranoia“: Der Vater des Hanauer Attentäters gibt ausführliche Einblicke in seine Weltsicht.
Der Vater des Attentäters von Hanau ist am Abend vom Amtsgericht Hanau wegen drei Fällen von Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 5400 Euro verurteilt worden.
Damit blieb das Gericht deutlich unterhalb der von der Staatsanwaltschaft geforderten Summe. Während der Hauptverhandlung hätten sich die Sachverhalte aus der Anklageschrift tatsächlich feststellen lassen, sagte die Vorsitzende Richterin. Mit Blick auf einen der Vorwürfe bescheinigte sie dem Mann „rassistisches Gedankengut“. Der Angeklagte selbst verließ unmittelbar nach der Verkündung des Strafmaßes den Saal, ohne sich die Urteilsbegründung anzuhören.
Staatsanwaltschaft Martin Links hatte zuvor eine Geldstrafe von 11.700 Euro für den Angeklagten gefordert. Der 74-Jährige sei rechtsextrem und vertrete ein rassistisches Gedankengut. Zugleich sei er voll schuldfähig. Seine Schreiben seien „darauf angelegt, eine Stadtgesellschaft zu spalten“. Der Verteidiger des Mannes beantragte, sein Mandant solle selbst eine Strafe nennen, die er auch akzeptiere. Auch in seinem rund eine Stunde andauernden letzten Wort äußerte sich der Angeklagte allerdings kaum zu den Vorwürfen selbst, sodass ihm der Staatsanwalt vorwarf, dieses Verfahrensrecht zu missbrauchen.
Der Mann ist der Vater des 43-jährigen Deutschen Tobias R., der am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordete. Vermutlich erschoss der 43-Jährige danach seine Mutter und schließlich sich selbst. Dem Vater hatte die Staatsanwaltschaft Beleidigung in drei Fällen vorgeworfen. Dabei ging es um Äußerungen in einer Anzeige sowie zwei Schreiben an Behörden. Unter anderem soll der Mann im Januar 2021 in einer Strafanzeige mehrere Menschen als „wilde Fremde“ bezeichnet haben. Diese hatten zuvor in der Nähe seines Wohnhauses eine Kundgebung abgehalten. Unter den Teilnehmern waren auch mehrere Angehörige der Anschlagsopfer.
In einem weiteren Fall ging es um ein Schreiben aus dem Januar 2021 an den Generalbundesanwalt, in dem der Mann ein Spezialeinsatzkommando aus Frankfurt, das unmittelbar nach dem Anschlag in seinem Haus eingesetzt war, als „Terrorkommando“ beziehungsweise „Terroreinheit“ bezeichnet haben soll. Schließlich soll er im Februar 2021 in einem Schreiben an das Amtsgericht Hanau den Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) unter anderem der „Wählertäuschung“ bezichtigt haben.
Weil der Mann zunächst nicht zum Prozessbeginn erschienen war, war er auf Anordnung des Gerichts am Vormittag von der Polizei geholt und vorgeführt worden. Unmittelbar nach Betreten des Saals teilte der Mann der Vorsitzenden Richterin mit, dass er sie wegen Befangenheit ablehne und auch ein entsprechendes Fax geschickt habe. An seinen Anwalt gewandt sagte er zunächst: „Sie sind nicht mein Verteidiger.“
Im weiteren Verlauf des Verfahrens brachte der Mann immer wieder seine „Besorgnis“ der Befangenheit zum Ausdruck und erhob Zweifel, ob es sich um ein faires Verfahren handele. „Ich poche auf die Rechtsstaatlichkeit.“ Eine rassistische Gesinnung bestritt er. Wiederholt verlangte der Angeklagte, dass Äußerungen der anderen Prozessbeteiligten wiederholt werden, da er sie aufgrund einer Hörproblematik nicht verstanden habe. Auch die Kompetenz des Sachverständigen zog der Angeklagte, der die Verhandlung stehend neben dem Richterpult verfolgte, in Zweifel. Wiederholt entzog die Richterin ihm das Wort, auch die Entfernung aus dem Gerichtssaal wurde ihm angedroht.
Die während des Prozesses verlesene ausführliche Anzeige und die anderen Schreiben des Mannes boten einen weiteren Einblick in die Gedankenwelt des 74-Jährigen. So warf er den in der Tatnacht eingesetzten SEK-Beamten unter anderem vor, seinen Sohn und seine Frau ermordet zu haben und erhob eine Vielzahl von Vorwürfen, darunter neben Hausfriedensbruch auch Nötigung, Störung des öffentlichen Friedens, Volksverhetzung, Verleumdung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Nachstellung.
Ein forensischer Gutachter attestierte dem Angeklagten anhand von Akten und seinem Verhalten im Gerichtssaal eine „wahnhafte Störung“, die sich unter anderem in einer „Schreibflut“, einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein sowie in der Verleugnung der Straftaten seines Sohnes äußere. Die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte entsprängen zugleich einem rechtsextremen Gedankengut, so der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Es sei aber keinerlei Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zu erkennen. „Ein Verhalten eines Angeklagten wie heute habe ich selten erlebt“, sagte der Gutachter.
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