Berlin (dpa)
Studie: Politik muss viel mehr für Klimaziele tun
SPD, Grüne und FDP sprechen über eine mögliche neue Bundesregierung. Ein zentrales Thema: der Klimaschutz. Was eine Studie der Politik auf den Weg gibt - und was Unternehmen fordern.
Zahlreiche deutsche Unternehmen sowie Wissenschaftler haben von der neuen Bundesregierung deutlich mehr Tempo beim Klimaschutz verlangt. Dazu gehört ein beschleunigter Ausbau des Ökostroms und ein schnellerer Kohleausstieg.
In einer Studie von Forschungsinstituten wird auch ein deutlich höherer CO2-Preis im Verkehr genannt, was zu höheren Spritpreisen führen würde. Um Deutschland in weniger als 25 Jahren klimaneutral zu machen, müsse die nächste Bundesregierung „sehr schnell sehr viel“ auf den Weg bringen, heißt es. Firmen verlangten konkrete Maßnahmen.
In einem am Montag veröffentlichen Appell von 69 Unternehmen aus verschiedenen Sektoren heißt es, es sei keine Zeit mehr zu verlieren, um der Erderwärmung entschlossen entgegenzutreten. Damit die Transformation Deutschlands zum klimaneutralen Industrieland bis 2045 gelinge, bräuchten Firmen „unbedingt“ politische Rahmenbedingungen, die klimafreundliche Technologien wirtschaftlich machen, nachhaltige Geschäftsmodelle fördern und langfristige Planungssicherheit bieten.
Die neue Bundesregierung solle in den ersten 100 Tagen eine „Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität“ vorlegen. Unterzeichnet haben das Schreiben, das von der Unternehmerinitiative „Stiftung 2 Grad“ initiiert wurde, unter anderem Eon, Bayer, SAP, Thyssenkrupp und Rossmann. Ein ehrgeiziger Ausbau der Erneuerbaren Energien sollte mit weiteren Maßnahmen kombiniert werden, um gezielt die Voraussetzungen für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung deutlich vor 2038 zu schaffen, hieß es. Dazu gehöre etwa eine erhebliche Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor.
Der Appell kam passend zum Beginn der vertieften Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP über eine mögliche neue Regierung - wie auch eine am Montag vorgelegte Klima-Studie zahlreicher Institute. Darin heißt es: „Die Klimaschutz-Ziele für 2030 und 2045 sind extrem herausfordernd und können nur mit massiven Investitionen, zusätzlichen politischen Maßnahmen und Infrastrukturaufbau in allen Sektoren erreicht werden.“
Die starke Beschleunigung der Energiewende bis 2030 sei von „besonderer Relevanz“ - also der Umstieg von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas auf erneuerbare Energien aus Wind und Sonne. „Ohne enorme Dekarbonisierungs- und Infrastrukturmaßnahmen in diesem Jahrzehnt werden die Klimaschutzziele für 2030 verfehlt - damit würde auch das Erreichen des Langfristziels der Klimaneutralität 2045 hochgradig unwahrscheinlich werden.“
Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne müsste laut Studie bis 2030 etwa 50 Prozent größer sein, als bislang angepeilt. Die Politik müsse die Ausbaupfade deutlich anheben und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Lange Verfahren sowie nicht ausreichend nutzbare Flächen gelten derzeit als Hauptgründe für einen stockenden Ausbau des Ökostroms.
Weiter heißt es in der Studie, der zur Erreichung der Klimaziele notwendige CO2-Preis mache eine weitere Kohleverstromung zunehmend unwirtschaftlich: „Es scheint daher hochgradig unplausibel, dass bei gleichzeitiger Einhaltung der Klimaziele Kohlekraftwerke gemäß Kohleausstiegsgesetz noch über 2030 hinaus substantiell zur Stromversorgung beitragen.“ Bisher geplant ist der Kohleausstieg bis spätestens 2038. „Der Strukturwandel in den betroffenen Regionen wird sich entsprechend beschleunigen und muss aktiv gestaltet werden.“ Um die Versorgungssicherheit sicherzustellen, würden zusätzliche gas- oder wasserstoffbefeuerte Spitzenlastkraftwerke benötigt.
In der Studie mit dem Titel „Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045“ geht es um Szenarien und Pfade in einem Modellvergleich. Die Analysen verdeutlichten die „Dringlichkeit“ des politischen Handlungsbedarfs, um Klimaschutzziele zu erreichen und den Kurs auf Klimaneutralität 2045 anzupassen.
Als eines der größten Sorgenkinder wird der Verkehrsbereich beschrieben. Um Klimaneutralität im Jahr 2045 im Verkehr zu schaffen, ist laut Modellierung ein starkes CO2-Preissignal sowie die Verschärfung von Flottengrenzwerten nötig. Damit das Klimaziel 2030 erreicht werden kann, bedürfe es weiterer Maßnahmen - zum Beispiel die Verteuerung von reinen Verbrennerfahrzeugen über ein Bonus-Malus-System, sagte Florian Koller vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
Im Modell liege der CO2-Preis 2025 bei 100 Euro pro Tonne, bisher geplant ist ein Preis von 55 Euro. 2030 liege der CO2-Preis bei 300 Euro, 2045 bei 500 Euro, so Koller: „Im Modell resultierte daraus eine Erhöhung des Benzinpreises bis auf durchschnittlich 2,50 Euro im Jahr 2030. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung können und sollten jedoch an die Menschen zurückverteilt werden, um einkommensschwache Haushalte nicht zu belasten.“
An dem sogenannten Ariadne-Projekt, das vom Bundesbildungsministerium gefördert wird, sind Wissenschaftler aus zahlreichen Instituten beteiligt - darunter dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie diverse Fraunhofer Institute.
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