Düsseldorf (dpa)

Studie: Deutsche sitzen zu viel und sind stressbelastet

Yuriko Wahl-Immel, dpa
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Von Yuriko Wahl-Immel, dpa
| 11.10.2021 11:35 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Ein Stehpaddler auf der Spree in Berlin - viele Menschen allerdings bewegen sich laut der Studie viel zu wenig. Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa
Ein Stehpaddler auf der Spree in Berlin - viele Menschen allerdings bewegen sich laut der Studie viel zu wenig. Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa
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Nur noch jeder neunte Bürger hat einen gesunden Lebensstil. Viele kämpfen laut DKV mit Stress und kleben als Vielsitzer an Stühlen und auf dem Sofa. Junge Erwachsene schaffen einen traurigen Rekord.

Die Deutschen verbringen einer Studie zufolge zu viel Zeit im Sitzen, werden immer träger und können Stress nicht ausreichend bewältigen.

Nur noch jeder neunte Bürger - ein Tiefstand seit 2010 - führe einen „rundum gesunden“ Lebensstil mit Blick auf Ernährung, körperliche Aktivität, Rauchen, Alkoholkonsum und Stresslevel. Das geht aus dem „DKV-Report 2021“ hervor, den Studienleiter Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln und die Deutsche Krankenversicherung am Montag vorstellten. Die Hochschule hatte im Auftrag des Versicherers die Daten von rund 2800 repräsentativ befragten Menschen ab 18 Jahren ausgewertet.

Der seit 2010 zum sechsten Mal erstellte Report habe mehrere besorgniserregende Negativrekorde zutage gefördert, sagte DKV-Vorstandschef Clemens Muth. Das gelte auch für die Sitzzeiten: Die Deutschen verbringen werktags inzwischen im Schnitt 8,5 Stunden auf ihrem Allerwertesten - eine Stunde mehr als noch 2018. Junge Erwachsene (18 bis 29 Jahre) sind danach sogar „Sitzweltmeister“ mit 10,5 Stunden an Werktagen.

Homeoffice - in der Pandemie stark zunehmend - sei zur Sitzfalle geworden. Am meisten sitzen die Bürger bei der Arbeit (33 Prozent) oder vor dem Fernseher (29 Prozent) - Männer eine Stunde länger als Frauen.

„Die Deutschen werden immer träger“

Zu lange Sitzzeiten könnten riskant sein und negative gesundheitliche Effekte haben, stellte Muth klar. Aber auch beim Empfinden und Bewältigen von Stress habe sich der Wert erheblich verschlechtert. Es dränge sich die Frage auf: „Ist die gesunde Lebensform ein Auslaufmodell?“

Der Experte Froböse bilanzierte: „Die Deutschen bleiben träge, sie werden immer träger.“ Im Trend lebten sie so ungesund wie nie seit dem ersten Report von 2010. Rund 60 Prozent finden laut der Befragung vom Frühjahr 2021 keine Wege, um den gefühlten Stress zu reduzieren oder auszugleichen. Das sei das bisher höchste gemessene Stressniveau, mahnte der Sportwissenschaftler. „Die Mehrheit schafft es nicht, ihre Akkus wieder aufzuladen.“

Die Erschwernisse der Pandemie förderten die Stresslast. „Frauen sind im Vergleich zu Männern belasteter“, erläuterte Froböse unter Hinweis auf Arbeitsbelastung mit Kinderbetreuung und Homeschooling.

Zugleich habe Inaktivität zugenommen, wobei der Faktor Sitzen deutlich zu Buche schlage. Nach den Ergebnissen der Befragung sind rund 70 Prozent der Bürger und Bürgerinnen gemäß den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 300 Minuten pro Woche körperlich aktiv. Bei der Arbeit, in der Freizeit oder beim „Transport“ - also auf dem Weg von einem Ort zum anderen. Das klingt zwar zunächst gut, 2010 waren es aber noch 83 Prozent.

Und 11 Prozent stuft die Befragung als „Minimalisten“ ein, die gerade mal 150 bis 300 Minuten pro Woche körperlich in Bewegung sind. Fast jeder fünfte Deutsche - 19 Prozent - unterschreitet sogar 150 Minuten körperliche Aktivität. Die inaktive Gruppe mache ihm große Sorgen, unterstrich Froböse. „Die machen nix.“ Mit körperlicher Aktivität sind physische - moderate wie intensive - Tätigkeiten im Job oder im Alltag gemeint, die stimulierend wirken. Es geht also keineswegs nur um reinen Sport.

Auffällig stark klaffen die erhobenen Werte mit der Selbsteinschätzung der Befragten auseinander: Aktuell stufen unverändert 61 Prozent ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut ein. Nach Einschätzung von Muth ist diese krasse Diskrepanz auch ein Beleg dafür, dass viele Menschen kein ausreichendes Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil haben.

Unter den „rundum gesund“ Lebenden schneiden Frauen mit einem Anteil von 14 Prozent besser ab als Männer mit 9 Prozent. Bei den Bundesländern hat Sachsen (18 Prozent) die Nase vorn, gefolgt von Hamburg, Brandenburg und Rheinland-Pfalz/Saarland. Im Mittelfeld liegen Bayern, Niedersachsen/Bremen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Analyse ergibt, dass die Bürger und Bürgerinnen in Nordrhein-Westfalen (7 Prozent) am wenigsten auf einen gesunden Lebensstil achten.

Schlusslicht beim gesunden Lebensstil ist Köln

Erstmals habe man auch auf die Metropolen geschaut, schilderte Muth: Top sei Hamburg mit 17 Prozent. Das Schlusslicht beim gesunden Lebensstil bilde Köln mit nur 4 Prozent.

Bei der Ernährung ist weiterhin die knappe Hälfte gesund unterwegs, wobei als Richtschnur die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gelten. Frauen kommen auf bessere Werte als Männer - so essen sie beispielsweise zu drei Vierteln täglich Obst und Gemüse. Alkohol konsumieren 82 Prozent verantwortungsvoll - also gar nicht oder nur gelegentlich mal ein Glas Wein oder Bier. Fast jeder Fünfte trinkt demnach zu viel. Zur Zigarette greift nahezu unverändert knapp ein Viertel der Befragten.

Positiv in der Corona-Zeit: Fast jeder Zweite gibt an, in der Pandemie mehr Spazieren zu gehen. Froböse zufolge nimmt der Trend aber schon wieder ab. Die Politik habe Sport in der Corona-Krise „in die Ecke gerückt“ und mit Blick auf Infektionsrisiken als „gefährlich“ dargestellt. Das sei falsch gewesen und werde Spuren hinterlassen.

© dpa-infocom, dpa:211011-99-554991/6

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