Kabul (dpa)
Hungerkrise in Afghanistan spitzt sich dramatisch zu
Anhaltende Dürre, Wirtschaftskrise, steigende Lebensmittelpreise und fehlende Hilfen - in Afghanistan müssen immer mehr Menschen Hunger leiden. Die Verzweiflung der Menschen führt zu Protestaktionen.
In Afghanistan spitzt sich die Hungerkrise dramatisch zu. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes wird ab November nicht ausreichend zu essen haben.
Das geht aus einem von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und dem Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht hervorgeht. Das sei eine Rekordzahl von 22,8 Millionen Menschen in dem Land mit geschätzt 37 Millionen Einwohnern.
Bereits im September und Oktober erlebten fast 19 Millionen Menschen in Afghanistan ein hohes Maß an akuter Ernährungsunsicherheit, ein Anstieg von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, heißt es in dem Bericht. Gründe für den Anstieg seien eine anhaltende Dürre, der Zusammenbruch öffentlicher Dienstleistungen, eine schwere Wirtschaftskrise und steigende Lebensmittelpreise in dem Land.
Die militant-islamistischen Taliban hatten nach Beginn des Abzugs der internationalen Nato-Truppen weite Teile Afghanistans erobert. Am 15. August zogen sie kampflos in die Hauptstadt Kabul ein und regieren seitdem. Internationale Hilfs- und Entwicklungsgelder wurden seither zu einem großen Teil eingestellt, im Ausland geparkte Reserven der afghanischen Zentralbank eingefroren. Gehälter von Lehrern oder Beamten werden seit mehreren Monaten nicht bezahlt.
Die Vereinten Nationen riefen zu dringender Hilfe auf, da sich in dem Land eine der größten Ernährungskrisen der Welt entwickle. Im weltweiten Vergleich sei Afghanistan sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen eines der Länder, in dem die meisten Menschen von Hunger bedroht seien. „Es geht um Leben und Tod. Wir können nicht warten und zusehen, wie sich humanitäre Katastrophen vor unseren Augen entfalten – das ist inakzeptabel“, kommentierte der FAO-Generaldirektor Qu Dongyu den Bericht.
Um das Ausmaß des Bedarfs zu decken, müssten die UN Mittel in noch nie dagewesener Höhe mobilisieren. Der Plan für die humanitäre Hilfe der UN sei nur zu einem Drittel finanziert.
David Beasly, Exekutivdirektor des WFP sagte, in diesem Winter seien Millionen Afghanen dazu gezwungen, zwischen Migration und Hunger zu wählen, wenn lebensrettende Hilfe nicht verstärkt und die Wirtschaft nicht wiederbelebt werden könne. „Wir befinden uns auf einem Countdown zur Katastrophe.“
Der Bericht zeigt, dass erstmals auch die städtische Bevölkerung in ähnlichem Maße unter Hunger leidet wie ländliche Gebiete. Unter den Gefährdeten seien 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die bis Ende des Jahres an akuter Unterernährung leiden dürften.
Die sich zuspitzende Situation führt zu immer größerer Verzweiflung und zu Protestaktionen in dem Land. In einem auf Facebook am Montag häufig geteilten Video filmt ein Afghane fünf Kinder, die in einem Grab liegen. Der Mann kommentiert, während eine Person Erde auf die Jungen schaufelt, dass seine Familie seit einer Woche nichts zu essen habe. „Brüder, es gibt keinen Grund mehr, zu leben. Wir trinken seit einer Woche nur Wasser. Wir haben beschlossen, uns lebendig zu begraben.“
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