Genf (dpa)
Das verflixte Kreislaufproblem bei Textilien
Neue Moden aus alten Kleidern - das klingt verlockend, denn die Textilindustrie belastet die Umwelt und das Klima. Aber das zu bewerkstelligen ist schwieriger als gedacht.
Ständig neue Kollektionen in den Geschäften, Billig-Mode zum Preis eines Kaffees, das fördert das Kaufen, Anziehen, Wegwerfen.
Die Umwelt- und Klimabelastung durch die Textilwirtschaft ist aber enorm, es muss sich also etwas ändern. Zwar werben immer mehr Modefirmen mit nachhaltigen Materialien, aber einen echten Kreislauf, in dem Altkleider zu neuen Textilen werden, gibt es noch nicht.
Die Textilindustrie gehört zu den weltgrößten Wirtschaftszweigen. Die Vereinten Nationen schätzen ihren Umfang auf 2,4 Billionen Dollar im Jahr (rund zwei Billionen Euro), mit weltweit mehr als 75 Millionen Beschäftigten. „Die Modeindustrie ist der zweitgrößte Wasserverbraucher der Welt und für acht bis zehn Prozent der Kohlenstoffemissionen verantwortlich - mehr als alle internationalen Flüge und die Seeschifffahrt zusammen“, so die Vereinten Nationen beim Start eines UN-Projekts für nachhaltige Mode 2019.
Jedes Jahr werden schätzungsweise 50 Milliarden Tonnen Textilien produziert. Dreiviertel davon dürfte auf Mülldeponien landen. Mit Fast Fashion, also viele Kollektionen und niedrige Preise, hat sich die Produktion nach Angaben der Unternehmensberatung McKinsey zwischen 2000 und 2014 verdoppelt, die Tragezeit halbiert. Eine weitere Studie zeigt: jeder Deutsche wirft im Jahr statistisch rund 4,7 Kilogramm Textilien weg. Nur 500 Gramm davon würden recycelt.
Das Konsortium wear2wear mit sechs Firmen der Textilbranche hat zum Ziel, Textilien aus 100 Prozent Alttextilien herzustellen. Dazu gehört die Firma Sympatex aus Unterföhring in Oberbayern, die eine wasser- und winddichte und atmungsaktive Membran für Funktionstextilien herstellt. Sie will bis 2030 nur noch Rohstoffe aus einem zirkulären Textilkreislauf verwenden, und alles soll wieder 100-pozentig recycelbar sein, wie Sprecherin Verena Bierling sagt.
Bei einem Test der wear2wear-Firmen mit einer Regenjacke hat sich aber gezeigt, dass der Teufel im Detail liegt. Mit 500 Kilogramm alten Polyester-Jacken konnten zwar 230 Meter Stoff gewebt werden, aber es mussten aus Qualitätsgründen 70 Prozent neue Fasern hinzugeführt werden, wie wear2wear-Sprecherin Annette Mark sagt. Die neuen Fasern stammten zwar aus PET-Flaschen, also Plastik. Aber Umweltschützer finden es problematisch, wenn Material einem an sich funktionierenden Kreislauf wie bei Plastikflaschen entzogen wird.
Die schweizerische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hat die Umweltbelastung der Jacke mit dem Anteil aus alten Jacken mit einer Jacke rein aus PET-Flaschenfasern verglichen. Die Altkleider-Jacke schnitt zwar in elf Umweltrisiko-Kategorien besser ab, etwa bei Erderwärmung, Giftbelastung für die Ökosysteme und Wasserknappheit. Aber: „Der Energieaufwand für Säubern, Entfärben und ähnliches bleibt enorm“, sagt Mark. An den Prozessen werde weiter gearbeitet. „Man darf sich nicht in die Tasche lügen: wir stehen noch ganz am Anfang.“
Und Polyester ist noch einfach. Bei Mischgeweben wird es viel komplizierter. Daraus besteht aber der Großteil der Kleidung weltweit. Verfahren, um Gewebe problemlos wieder in Bestandteile wie Polyester, Polyamid und Baumwolle zu zerlegen, stecken in den Kinderschuhen. Bei den Regenjacken, die recycelt wurden, waren nur fünf Prozent nicht aus Polyester, etwa der Klebstoff zwischen Membranen und Futter, aber schon dass verstopfte nach dem Aufschmelzen des Granulats bei der Weiterverarbeitung die Düsen der Spinnmaschinen. Zudem ist der Kreislauf nicht endlos: „Einen Recycle-Zyklus bekommen wir hin, aber danach wird es mit der Qualität schwierig“, sagt Mark. Das Polymer verliert an Qualität und und das neue Garn werde ungleichmäßig.
Die britische Firma Worn Again Technologies arbeitet an der Trennung von Mischgeweben. Investoren sind unter anderem die Modefirma H&M und das Schweizer Technologieunternehmen Sulzer. Sulzer baut eine Anlage, die Kleidungsstücke aus Polyester und Baumwolle in Polyesterpellets und Zellulose-Zellstoff umwandelt, die wieder zu Fasern versponnen werden können. Die Anlage soll im Jahr 1000 Tonnen neue Fasern produzieren. Das wäre aber gemessen an den Mengen, die H&M verkauft, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bei H&M lag der Anteil von recycelten Materialien 2020 nach Angaben eines Firmensprechers bei rund sechs Prozent, immerhin doppelt so viel wie im Jahr davor. Bis 2025 sollen es 30 Prozent sein. Das Unternehmen hat unter anderem den Online-Shop Itsapark gegründet, der auch Second-Hand-Kleidung verkauft. Wie viel das am Gesamtverkauf ausmacht, sagt der Sprecher nicht.
Greenpeace hält solche Aktivitäten für Augenwischerei. Es vermittle Kunden ein gutes Gewissen, damit sie dann sorglos weiter einkaufen, sagt Greenpeace-Konsum-Expertin Viola Wohlgemuth. Der Textilkonsum müsse sich grundsätzlich ändern. Die Firmen müssten Textildienstleister werden. „Leihen, teilen, tauschen, reparieren - das muss das Modell der Zukunft sein, und Kleidung aus solchen nachhaltigen Modellen muss überall im Alltag zu finden sein und billiger sein, als etwas neu zu kaufen“, sagt sie. Auch H&M sei daran gelegen, dass Mode solange wie möglich genutzt, weiterverkauft, wiederverwendet und recycelt werde, beteuert der Sprecher.
Die Europäische Union will noch in diesem Jahr eine Textil-Strategie veröffentlichen. Hersteller sollen zur Verantwortung gezogen werden, damit sie langlebigere Textilien produzieren, die weniger Umweltschäden verursachen und besser recycelt werden können.
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