Berlin/Lindau (dpa)

Fast 34.000 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet

Frederick Mersi, Valentin Frimmer und Sascha Meyer, dpa
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Von Frederick Mersi, Valentin Frimmer und Sascha Meyer, dpa
| 04.11.2021 05:28 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Angesichts einer immer schwierigeren Corona-Lage suchen die Gesundheitsminister nach einem gemeinsamen Kurs. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Angesichts einer immer schwierigeren Corona-Lage suchen die Gesundheitsminister nach einem gemeinsamen Kurs. Foto: Christoph Schmidt/dpa
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Die Pandemie-Lage wird bedrohlicher und schlägt auch auf Kliniken und Pflegeheime durch. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beraten über zusätzliche Vorkehrungen.

Die vierte Corona-Welle in Deutschland hat neue kritische Höhen erreicht: Laut RKI meldeten die Gesundheitsämter den Rekord von 33.949 Infektionen binnen eines Tages - so viele wie noch nie im Verlauf der Pandemie.

Vorerst offen blieb, inwiefern der Feiertag Allerheiligen eine Rolle bei der Erfassung spielte. Im Blick steht nun vor allem zusätzlicher Schutz für gefährdete ältere Menschen im Winter. Vor einer Gesundheitsministerkonferenz von Bund und Ländern kommt ein einheitliches Vorgehen bei Auffrischungsimpfungen in Sicht. Sie sollen sechs Monate nach der Zweitimpfung angeboten werden, wie der geschäftsführende Bundesminister Jens Spahn (CDU) sagte.

Die Lage

Im Herbst stecken sich wie erwartet wieder deutlich mehr Menschen an. Bundesweit stieg die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen laut RKI auf 154,5. Damit hat sich der Wert innerhalb von 16 Tagen in etwa verdoppelt. Es gibt aber weiter regionale Unterschiede: In Sachsen und Thüringen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz über 330, in Schleswig-Holstein und im Saarland unter 80. Der bundesweite Höchstwert lag im bayerischen Landkreis Miesbach: 715,7. Fachleute weisen darauf hin, dass wegen rund zwei Drittel vollständig geimpfter Einwohnern das Gesundheitssystem mehr Fälle bewältigen kann. Denn Geimpfte haben seltener schwere Symptome. Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstation stieg schon auf über 2200. Bisheriger Höchststand waren mehr als 5700 im Januar.

Die Infektionstreiber

Experten sehen verschiedene Gründe für mehr Ansteckungen. So gibt es akut weniger Beschränkungen im öffentlichen Leben: Schulen und Kitas sind geöffnet, private Zusammenkünfte und auch größere Veranstaltungen sind möglich. Zudem verlagert sich das Leben in der kälteren Jahreszeit wieder mehr nach drinnen, wo die Infektionsgefahr durch die dominierende, ansteckendere Delta-Variante größer ist. Zudem schwächt sich der Immunschutz nach einigen Monaten ab. Geimpfte sind dann anfälliger für eine Infektion, auch wenn sie weiterhin gut vor einem schweren Verlauf geschützt sind.

Die „Booster“: Um mehr Tempo in Auffrischungsimpfungen zu bekommen, soll nach einiger Verwirrung eine einheitlichere Linie her. Man sei sich mit Ärztevertretern und unter den Ministern einig, sagte Spahn am Rande der Ressortchef-Konferenz in Lindau. Es mache viel Sinn, dass es sechs Monate nach der Zweitimpfung eine Auffrischung geben solle. Es seien zuerst Ältere, Vorerkrankte und medizinisches Personal geimpft worden, bei diesen sei es jetzt auch mehr als sechs Monate her. Gerade dort machten Verstärkungen („Booster“) daher nun Sinn. „Boostern sollte die Regel werden, nicht die Ausnahme.“ Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt dies vorerst in engerem Rahmen unter anderem ab 70, worauf sich auch Ärztevertreter bezogen.

Die Bedingungen für Auffrischungen: Die Sechs-Monats-Frist erreicht momentan, wer bis Anfang Mai seine Zweitimpfung hatte. In Frage kämen schon mehr als zehn Millionen Menschen, „Booster“ bekamen laut RKI bisher aber nur 2,36 Millionen. Es müsse gelingen, „vor die Lage“ zu kommen, sagte der Vorsitzende der Länderminister, Klaus Holetschek (CSU), aus Bayern. Niedersachsens Ressortchefin Daniela Behrens (SPD) kritisierte den Vorlauf von 14 Tagen für Impfstoff-Bestellungen der Praxen. Spahn müsse rasch „pragmatischere Vereinbarungen“ mit dem Arzneigroßhandel treffen, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Spahn warb für zusätzliche öffentliche Angebote, was nicht wieder nur große Impfzentren sein müssten - aber Impfbusse oder mobile Teams.

Die Pflege

Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen haben auch die Politik alarmiert. Der Bund dringt auf flächendeckende Testpflichten für Personal und Besucher, auch für Geimpfte. Ein Beschlussentwurf aus Länderkreisen sieht vorerst nur vor, dass Bund und Länder „darauf hinwirken, dass ein ausreichendes Testangebot in den Einrichtungen vorgehalten wird“. Baden-Württembergs Ressortchef Manne Lucha (Grüne) forderte eine Impfpflicht fürs Personal: „Nachdem wir lange auf Appelle und die Einsicht der Menschen gesetzt haben, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen.“ Spahn hatte sich zurückhaltend dazu geäußert - auch aus Sorge, dass Pflegekräfte weggingen. Holetschek sprach sich vorerst dagegen aus. Man werde die Lage aber „genau beobachten“.

Das weitere Vorgehen

Offen war weiterhin, ob es bald auch noch eine Bund-Länder-Spitzenrunde gibt - die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das wiederholt angeboten, zunächst sollen nun aber die Beschlüsse der Gesundheitsminister am Freitag abgewartet werden. Zu klären ist auch eine neue Rechtsbasis für Corona-Maßnahmen im Winter. Wie auch von Spahn befürwortet, wollen die möglichen künftigen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP die bisherige gesetzliche Sonderlage zum 25. November enden lassen - aber nicht als Entwarnungssignal. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte die angepeilte Ersatzlösung „eher eine Hilfskrücke“.

© dpa-infocom, dpa:211104-99-858951/13

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