Glasgow (dpa)
Dramatische Appelle auf der Klimakonferenz
Weiter werden Kohlekraftwerke gebaut und fossile Energien subventioniert - trotz eskalierender Klimakrise. Das muss aufhören, fordert der UN-Chef. Kann die Klimakonferenz die richtigen Signale geben? Ein Pakt Chinas mit den USA macht manchen Hoffnung.
Im Endspurt der Weltklimakonferenz in Glasgow hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres die rund 200 Staaten ermahnt, in den Verhandlungen mehr Ehrgeiz und Kompromissbereitschaft zu zeigen.
Zudem müssten alle Länder „radikal“ ihren Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase drosseln. „Dies ist der wichtigste Kampf unseres Lebens“, sagte er vor dem Plenum. Am vorletzten Gipfeltag machte auch UN-Klimachefin Patricia Espinosa Druck. „Wir werden härter arbeiten als jemals zuvor - weil wir es müssen.“ Bewegung in die teils stockenden Gespräche könnte ein überraschend geschlossener Klima-Pakt Chinas und der USA bringen - den zwei größten Verursachern schädlicher Klimagase.
„Jedes Land, jede Stadt, jede Firma, jede Finanzinstitution muss radikal, glaubwürdig und nachvollziehbar ihre Emissionen runterfahren und ihre Portfolios entsprechend bereinigen - und zwar ab jetzt“, forderte Guterres. Anders sei das gemeinsame Ziel nicht zu erreichen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.
Die bisherigen Versprechen vieler Länder klängen hohl, wenn die Öl-, Gas- und Kohleindustrie weltweit immer noch Billionen an Subventionen erhalte, wie es der Internationale Währungsfonds festgestellt habe. „Oder wenn Staaten immer noch Kohlekraftwerke bauen. Oder wenn Treibhausgasemmissionen immer noch keinen Preis haben - was Märkte und Investitionen verzerrt.“
Rund ein Dutzend Staaten wollen unter der Führung von Dänemark und Costa Rica mit gutem Beispiel vorangehen und einen konkreten Ausstieg aus Öl und Gas festlegen. „Wir tun das, weil wir denken, dass wir es tun müssen“, sagte der dänische Klimaminister Dan Jørgensen. „In einer 1,5-Grad-Welt gibt es keinen Platz für Öl und Gas.“ Deutschland gehört wie bereits bei mehreren anderen internationalen Allianzen nicht zu den Unterzeichnern. Die Umweltministerin von Costa Rica, Andrea Meza, verteidigte die Bedeutung der Allianz, auch wenn große Ölstaaten wie Saudi-Arabien oder Russland nicht dabei sind. „Wir wissen, dass das nur ein Anfang ist“, sagte Meza. „Aber wir sind eben die, die den Mut haben, etwas zu tun.“
Neuen Schwung könnte auf den letzten Metern der überraschende Pakt von zwei Klimasündern bringen, die sich sonst selten einig sind: Der US-Klimaschutzbeauftragte John Kerry sagte, Amerika und China hätten keinen Mangel an Differenzen. „Aber beim Klima ist das der einzige Weg, diese Aufgabe zu bewältigen.“ China trägt zu 27 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen bei, während die USA einen Anteil von elf Prozent haben. Beide Seiten wollen gemeinsam und jeder für sich den Umbau zu einer klimaneutralen Weltwirtschaft beschleunigen, wie es in der Erklärung heißt. Dazu werde man noch in diesem Jahrzehnt ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Eingesetzt werden soll dazu auch eine gemeinsame Arbeitsgruppe.
Der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate ist das nicht genug: „Wir ertrinken in Versprechen. Aber Versprechen werden das Leiden der Menschen nicht stoppen“, sagte sie. „Nur sofortige und drastische Maßnahmen werden uns aus dem Abgrund ziehen.“ Während die Klimakonferenzen kommen und gingen, stiegen die Emissionen weiter an. Im Jahr 2021 werde der zweitgrößte Anstieg der Emissionen in der Geschichte erwartet. Das sei der Grund, warum Millionen von Aktivistinnen und Aktivisten nicht „die Erfolge sehen, denen in diesen Hallen hier applaudiert wird“.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte nach ihrer Ankunft in Glasgow hingegen, die COP26 sei schon ein gutes Stück weiter gekommen. „Es ist im Moment nicht so, dass man große Bremser sieht, sondern, dass die Fragen einfach sehr komplex sind.“ Es sei nun wichtig, Finanzierungsfragen wirklich auch zu lösen. Arme Staaten fordern in Glasgow unter anderem eine langfristige Finanzierung zur Anpassung an die Erderwärmung und für ihre Maßnahmen zur Drosselung des Treibhausgasausstoßes. Darüber hinaus pochen sie sie auf Schadenersatz für schon erlittene Schäden („loss and damage“).
EU-Kommissar Frans Timmermans wies Vorwürfe zurück, die EU sei - auch wegen interner Differenzen - passiv in den Verhandlungen und trete in Glasgow kaum in Erscheinung. Das EU-Team suche sehr aktiv nach Lösungen und versuche, Brücken zu bauen, sagte er. Zudem müsse sich die EU nicht verstecken, mit ihrem ehrgeizigen Klimaziel, ihre Treibhausgase schon bis 2030 um 55 Prozent zu drosseln.
Planmäßig bleiben den Verhandlerin in Glasgow nur noch wenige Stunden, um die großen Differenzen zu überbrücken. Aber: „Gab es schonmal eine COP ohne Verlängerung?“, fragte Umweltministerin Schulze - fügte jedoch an: „Wir sind noch zuversichtlich, dass wir das bis morgen hinbekommen.“
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