Berlin (dpa)
Kretschmann glaubt an Verfassungskonformität der Impfpflicht
Ist eine Corona-Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar? Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann hält das für möglich. Auch Juristen sehen eine Möglichkeit, die Impfpflicht durchzusetzen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält eine allgemeine Corona-Impfpflicht für vereinbar mit dem Grundgesetz. Er glaube nicht, dass dies verfassungswidrig wäre, sagte der Grünen-Politiker am Montagabend im ZDF-„heute journal“.
Es habe in Deutschland lange Zeit eine Impfpflicht gegeben, sie sei vor Jahrzehnten aber aufgegeben worden. Auch gebe es eine solche Pflicht in abgeschwächter Form bei Masern.
Kretschmann und Söder werben für Impfpflicht
Kretschmann und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warben in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ für eine Impfpflicht. „Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen“, schrieben beide Politiker. Im ZDF sprach Kretschmann von einem schwierigem Abwägungsprozess und einem tiefen Eingriff in Persönlichkeitsrechte. Noch tiefere Eingriffe seien aber Maßnahmen wie bei überlasteten Krankenhäusern - etwa eine Auswahl, wer behandelt wird und wer nicht.
Kretschmann machte klar, dass bei einer Impfpflicht sicher niemand bei Verweigerung im Gefängnis lande oder von der Polizei zum Impfen abgeholt werde. Möglich wären jedoch Bußgelder. Man könne aber davon ausgehen, dass sich die Bevölkerung in der Regel an Gesetze halte, auch wenn jemand nicht davon überzeugt sei. Kretschmann zufolge wäre eine Impfpflicht Sache des Bundesgesetzgebers.
Auch Juristen halten Impfpflicht für möglich
Nach Ansicht des Staatsrechtlers Ulrich Battis wäre eine Impfpflicht vom Grundgesetz gedeckt. „Eine solche allgemeine Impfpflicht ist durchaus vertretbar - und zwar, um das Leben anderer Menschen zu schützen“, sagte der Rechtswissenschaftler von der Berliner Humboldt-Universität der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Verfassung sei in diesem Punkt eindeutig.
„Die Bürger vorbeugend gegen Corona zu impfen ist durch Artikel 2 des Grundgesetzes gedeckt, der den Schutz des Lebens anderer Menschen festlegt“, sagte Battis. „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls der Artikel 2 festschreibt, hat dahinter zurückzutreten.“ Auf die Frage, wann eine solche Impfpflicht kommen sollte, sagte der Jurist: „Möglichst schnell. Die Impfpflicht kann gegen die vierte Welle nichts mehr ausrichten, dafür ist es zu spät. Aber sie kann gegen eine künftige fünfte Welle helfen.“
Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz C. Mayer hält eine Impfpflicht ebenfalls für „grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar“. „Es kommt auf die guten Gründe und dann auf die Verhältnismäßigkeit an. Grundsätzlich gilt: Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind - das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne nicht gelingt“, sagte Mayer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Denkbar seien für Impfverweigerer etwa ein Bußgeld oder gesetzliche Regelungen zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes.
Warnung vor großen Menschenansammlungen
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer warnte am Montagabend vor großen Menschenansammlungen. „Wir sollten auf alles verzichten, bei dem viele Menschen auf einer Stelle zusammenkommen über eine längere Zeit - sowohl innen wie draußen“, sagte der CDU-Politiker in den ARD-„Tagesthemen“. Im besonders schwer von der vierten Corona-Welle betroffenen Sachsen gilt seit Montag eine neue Corona-Notfallverordnung. So sind Weihnachtsmärkte und große Veranstaltungen abgesagt, im Einzelhandel gilt mit Ausnahme für Waren des täglichen Bedarfs die 2G-Regel.
„Dieser Virus hat deutlich an Kraft gewonnen und, wir alle in der Bevölkerung, wir sind genervt und wir haben die Kraft verloren“, sagte Kretschmer in der ARD. Diese Kombination führe dazu, dass, wenn es Ausbrüche gebe, diese „ganz rapide verlaufen“.
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