Berlin (dpa)

Noch ein Silvester (fast) ohne Raketen und Böller

| 03.12.2021 08:25 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Der Verband der pyrotechnischen Industrie nennt den Bund-Länder-Beschluss einen „Todesstoß für die gesamte Feuerwerksbranche“. Foto: Christophe Gateau/dpa
Der Verband der pyrotechnischen Industrie nennt den Bund-Länder-Beschluss einen „Todesstoß für die gesamte Feuerwerksbranche“. Foto: Christophe Gateau/dpa
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Für die einen sind die funkelnden Lichter und lauten Böller an Silvester ein Muss, für die anderen ein Ärgernis. Für alle gilt: Angesichts voller Krankenhäuser wird Silvester 2021/22 weitgehend böllerfrei.

Nun ist es offiziell: Silvester wird wieder leiser. Böller und Feuerwerk dürfen zum Jahreswechsel 2021/22 nicht verkauft werden. Das haben Bund und Länder am Donnerstag beschlossen.

Auch wer schon welche hat, soll an bestimmten belebten Plätzen darauf verzichten müssen - welche das sind, bestimmen die Kommunen. Vom Raketen-Zünden wird generell abgeraten, um die Kliniken in der Pandemie nicht mit noch mehr Verletzten zu belasten. Im Gedränge könnte es zudem zu mehr Corona-Infektionen kommen, so die Befürchtung. Die Reaktionen sind gemischt: Während unter anderem Tier- und Umweltschützer sich freuen, fällt damit für andere eine geliebte Silvestertradition aus. Warum sind gerade die Raketen und Böller vielen so wichtig?

Silvester ist ein soziales Event

„Das Feuerwerk markiert noch einmal das Besondere des Tages: An den restlichen Tagen des Jahres ist die Nachtruhe außer bei anderen angemeldeten Festen strikt einzuhalten, aber an Silvester ist Böllern erlaubt“, erklärt Judith Gloria Pörschke, die an der Universität Jena unter anderem zu Ritualen und Festkultur forscht. Silvester habe für viele Menschen eine besondere Bedeutung: „Am Silvesterabend gehen alle Leute aus der Nachbarschaft raus und warten darauf, dass sie gemeinsam die Lichter und das Feuerwerk entzünden. Das schafft für eine kurze Dauer ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit auch fremden Menschen. Die Menschen schauen mit gleichen Erwartungen in den Nachthimmel, warten auf das neue Jahr und was es bringt und wünschen sich gegenseitig ein frohes Neues.“

So ein Zusammengehörigkeitsgefühl habe man sonst nur im engen Kreis. „Das haben Rituale an sich: Eine Öffentlichkeit, einen gemeinsamen Grund und eine höhere Bedeutung. Das ist mehr als einfach nur Knallen. Das ist die Begrüßung des neuen Jahres“, erklärt die Volkskundlerin und Kulturhistorikerin.

Schon im vergangenen Jahr durften Feuerwerkskörper der Kategorie F2 - also das klassische Silvesterfeuerwerk - wegen der Pandemie nicht verkauft werden. Trotzdem waren in vielen Wohnvierteln bunte Raketen zu sehen - so mancher hatte offenbar noch Vorräte vom Vorjahr oder hatte sich etwa in Polen Böller besorgt.

Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) fordert nun, es müsse sichergestellt werden, dass bundesweit keine Pyrotechnik abgebrannt wird. So weit geht der Beschluss vom Donnerstag nicht. Die DUH setzt sich schon lange für ein Verbot privater Feuerwerke ein - schließlich würden Tiere durch den Lärm gestresst, die Umwelt verschmutzt, die Feinstaubbelastung durch das Schwarzpulver sei hoch und es gebe viele Verletzte durch Böller und Raketen, so der Verein.

Auf die „zahlreichen Verletzungen infolge von falsch angewendeten Böllern oder Raketen“ verweist auch der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Klaus Holetschek. „Jede vermeidbare Zusatzbelastung muss in der derzeitigen Lage unbedingt unterbunden werden“, sagte Holetschek, der auch Bayerns Gesundheitsminister ist, der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstagsausgabe).

Für den Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) ist die Auslastung der Krankenhäuser dagegen kein Argument für das Verkaufsverbot: Für Probleme sorgten illegale Feuerwerkskörper und zu viel Alkohol, nicht aber legales Silvesterfeuerwerk. Die Böller-Hersteller warnen gar vor einem „Todesstoß für die gesamte Feuerwerksbranche in Deutschland“.

Es gibt noch andere Silvester-Bräuche

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) appelliert an die Vernunft der Bürger: Wenn Krankenhausmitarbeiter Tag und Nacht um das Leben Tausender Menschen auf Intensivstationen kämpfen, sei es solidarisch, auf Feiern mit größeren Menschenansammlungen zu verzichten, sagte Bundesvorsitzender Oliver Malchow der Deutschen Presse-Agentur. „Gerade die für die Verbreitung des Coronavirus sorgende Mischung aus Menschenmassen, Party und Alkohol lässt die Infektionszahlen in die Höhe schnellen.“ Er kündigte an: „Feuerwerksverbote werden selbstverständlich nicht überall durch die Polizei kontrolliert und durchgesetzt werden können. An den bekannten Feiermeilen in Innenstädten wird die Polizei jedoch Präsenz zeigen und Unbelehrbare in die Schranken weisen.“

Dennoch gibt es Silvester-Rituale, die auch 2021 klappen können. „Man kann zum Beispiel Wachsgießen: Die Bilder verweisen symbolisch auf das, was im neuen Jahr kommen könnte. Oder eine Linsensuppe zubereiten und essen, die Linsen stehen für das Geld, das wir im neuen Jahr bekommen könnten“, sagt Pörschke. „Oder man macht ein Tischfeuerwerk - das ist nicht so laut, doch die symbolische Bedeutung bleibt bestehen. Und ist es über das Böllern hinaus nicht das Wichtigste, Silvesterrituale - egal welcher Art - mit den Menschen zu teilen, mit denen man auch das kommende Jahr verbringen will?“

Zumindest für Geimpfte und Genesene wird das voraussichtlich auch in diesem Jahr möglich sein. Kontaktbeschränkungen für Treffen kleiner Gruppen sind erstmal nur vorgesehen, wenn mindestens ein Ungeimpfter teilnimmt. Dann sollen außer dem eigenen Haushalt nur zwei Personen eines anderen Haushalts dabei sein dürfen, Kinder unter 14 Jahren sind ausgenommen. Aerosolforscher Gerhard Scheuch erinnert daran, dass die Ansteckungsgefahr in Innenräumen um ein Vielfaches höher ist als draußen: Bei Treffen in Räumen sollten deshalb weniger Leute sein, die Treffen kürzer dauern und gelüftet werden.

© dpa-infocom, dpa:211203-99-239410/5

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