ON-Weihnachtsaktion
Sprung in die Trauerpfütze
Wenn Kinder einen geliebten Menschen verlieren, brauchen sie manchmal Unterstützung bei der Trauer. Dann sind die Ehrenamtlichen des Auricher Hospizvereins für sie da und fangen sie auf.
Aurich - Für viele Menschen ist ein Hospiz ein abschreckender Ort. An ihm haftet der Gedanke des endgültigen Abschieds. Er ist voller Traurigkeit und Tod. Dabei stimmt das so gar nicht. Für viele ist er zu einer Zuflucht geworden. So wie für die Kinder aus der Trauergruppe des Hospizvereins Aurich..
Einmal im Monat geht es für zwei Stunden nur um sie: Kinder, die einen geliebten Menschen verloren haben und Hilfe bei der Trauerbewältigung brauchen. Längst nicht jedes Kind braucht dabei Unterstützung, sagt Heike Schenk. Gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen leitet sie die Kindertrauergruppe des Hospizvereins Aurich. Nur manche Kinder brauchten zusätzlichen Beistand
Kinder trauern anders
Kinder trauern ganz anders als Erwachsene, erklärt Britta Baumann, Koordinatorin im Hospizverein. „Kinder springen in eine Trauerpfütze.“ Sie haben dann heftige Gefühlsschwankungen. Sie sind plötzlich tief betrübt und im nächsten Moment wieder fröhlich. Für Erwachsene, die selbst trauern, sei es nicht immer möglich, die Kinder dann aufzufangen.
Zu viele Erwachsene erlauben sich nicht, in Momenten der Trauer Schwäche zu zeigen. Schließlich müssen sie funktionieren. Der Haushalt muss gemacht und Kinder umsorgt werden. Hinzu kommt noch die Arbeit. Kaum Zeit, um zu trauern.
Nicht jeder braucht beim Trauern Unterstützung
Wenn alles glatt läuft, brauchen Kinder die Trauergruppe nicht. In der eigenen Familie wurde viel über den Tod des geliebten Menschen gesprochen, schon zu Lebzeiten. Sie konnten sich verabschieden. Auch nach dem Tod wird das Thema nicht zum Tabu. Mit Freunden können die Kinder sich austauschen. Leider können nicht alle Kinder aus unterschiedlichen Gründen so von ihrem Umfeld aufgefangen werden. Dann sind die Ehrenamtlichen des Hospizes für sie da.
Die Folgen einer verdrängten Trauer können übel sein. Teilweise äußert sich erst Jahre später, wie sehr der Tod eines geliebten Menschen jemanden mitgenommen hat. Manchmal geht es aber auch schnell, sagt Heike Schenk. Die Kinder kapseln sich ab, entwickeln Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit. Manche bekommen Essstörungen.
Rückhalt in der Gruppe
Für die Kindertrauergruppe gibt es im Hospizverein einen extra Raum. Er ist voll im kuscheligen Sitzkissen, Plüschtieren, Puppen, Spielen und sogar einem Lego-Beerdigungsset. In Deutschland könne man das gar nicht kaufen, sagt Britta Baumann. Hier sei man noch nicht so weit. Für Erwachsene sei es eher schwierig – Kinder stürzten sich jedoch sofort auf die Bausteine und spielten eine Beerdigung nach.
Die Kinder finden in der Trauergruppe den nötigen Rückhalt, sagt Heike Schenk. Die Sechs- bis Zwölfjährigen wissen nur zu gut, was der jeweils andere durchmacht. Und das ist entscheidend. „Sie wissen, sie sind hier nicht allein“, sagt Heike Schenk.
Völlig ohne Druck
Wichtig ist, dass bei den Gruppentreffen kein Druck erzeugt wird, sagt Heike Schenk. Die Kinder müssen nichts leisten, sie dürfen einfach sein. Beim ersten Treffen geht es nur ums Kennenlernen. Viele seien erst einmal schüchtern, sagt die Gruppenleiterin. Sie spiele dann mit ihnen Kennenlernspiele. So werde das Eis schnell gebrochen.
Auszeit von der Trauer dank Familienbegleiterinnen
Hospizverein schenkt Zeit und ein offenes Ohr
„Ein Kind zu verlieren, ist die schlimmste Form der Trauer“
Zur ehrenamtlichen Arbeit im Hospiz kam Heike Schenk über einen Bekannten. In ihrer Pension suchte die ehemalige Grundschullehrerin nach einer Möglichkeit, etwas Gutes zu tun. Kinder waren ihr schon immer wichtig. Ihr war schnell klar, dass sie den Kindern in der Trauer beistehen und helfen will.
Bewältigung durch Erinnerung
Bei ihrer Arbeit versucht Heike Schenk immer auf die Bedürfnisse der Kinder zu achten. Zentral ist in der Trauergruppe deswegen die Erinnerung. Sie gestalten Kerzen selbst. Gemeinsam werden sie entzündet und dabei der Toten gedacht. Manchmal sollen die Kinder etwas von zu Hause mitbringen, was sie an den Verstorbenen erinnert. Das kann mal ein Parfum sein, ein Kleidungsstück oder eine Sonnenbrille. Sie basteln gemeinsam Erinnerungsgläser, hinein kommen kleine Zettelchen mit Sprüchen oder Fotos des geliebten Menschen. Immer dann, wenn die Traurigkeit die Kinder zu Hause übermannt, können sie dann gemeinsam mit ihrer Familie einen Blick in das Glas werfen oder noch eine Erinnerung hinzufügen. So finden sie Trost, sagt Heike Schenk.
Bei der Trauerarbeit ist vor allem wichtig, den Kindern nichts überzustülpen, sagt die Leiterin der Gruppe. Man dürfe ihnen keine einfachen Lösungen präsentieren. Sie fühlten sich dann nicht ernstgenommen. Wenn ein Kind also fragt, wie das Leben nach dem Tod aussieht, fragt Heike Schenk zurück: „Wie stellst du dir es denn vor?“ Und dabei hat sie schon ganz unterschiedliche Antworten bekommen, auf die ein Erwachsener vielleicht nicht sofort gekommen wäre. Der Verstorbene sei nun ein Engel oder lebe im Himmel in einer Ritterburg mit anderen Angehörigen. Eines ist jedoch immer gleich – die Kinder stellen sich einen sicheren Ort vor.
Kinder akzeptieren schnell den Tod
Erwachsenen fällt es schwerer, den Tod zu akzeptieren als Kinder. Oft spielt das Warum eine zentrale Rolle. Warum muss ausgerechnet dieser Mensch sterben? Wenn man Kindern sage, dass derjenige krank sei, könnten sie das leichter akzeptieren, sagt Heike Schenk. Bei Erwachsenen drehten sich die Fragen dann weiter, zum Beispiel, warum es ausgerechnet die eigene Familie getroffen hat. Und darauf gebe es nun einmal keine Antwort, sagt Heike Schenk.
Während der Pandemie konnten sich die Gruppen im Hospiz kaum noch treffen. Im vergangenen Jahr packten die Ehrenamtlichen Weihnachtspäckchen für die Kinder. In diesem Jahr konnte sich die neue Gruppe zuletzt im September treffen. Wenn es die Infektionslage zulässt, soll vor Weihnachten noch ein Treffen stattfinden, sagt Heike Schenk.
Im vierten Teil der Serie am kommenden Sonnabend geht es um die Sterbebegleitung. Zwei Ehrenamtliche berichten von ihrer Arbeit beim durch Spenden finanzierten Hospiz.
Spenden für den Hospizverein Aurich
In diesem Jahr sammeln die Ostfriesischen Nachrichten und „Ein Herz für Ostfriesland“ zu Weihnachten gemeinsam für den Hospizverein Aurich. Die Spenden möchte der Verein für die Ausbildung der ehrenamtlichen Trauerbegleiter verwenden. Die Trauerbegleitenden stehen den Hinterbliebenen zur Seite und helfen den Angehörigen, ihren Weg zurück ins Leben zu finden.
Spender können eine Summe ihrer Wahl auf das Spendenkonto „Ein Herz für Ostfriesland GmbH“, IBAN DE24 2856 2297 0414 5372 01, bei der Raiffeisen-Volksbank eG Aurich unter dem Stichwort Hospizverein Aurich überweisen. Weitere Informationen finden Interessierte hier.