Berlin (dpa)
Streit im TV: Weidels Aussage über Intensiv-Belegung
Wie kommt Alice Weidel darauf, dass auf Intensivstationen häufiger Geimpfte lägen als Ungeimpfte? Denn offizielle Zahlen zeigen das Gegenteil. Auch ein Nachhaken bei der AfD-Politikerin bringt kaum Erkenntnis.
Alice Weidel hat sich in einem TV-Interview in ein turbulentes Wortgefecht verstrickt. Die AfD-Fraktionsvorsitzende geriet mit ihrer Aussage über vermeintlich mehr Geimpfte als Ungeimpfte auf deutschen Intensivstationen ins Kreuzfeuer der Kritik.
Nach ihrem Gespräch mit dem Fernsehsender Phoenix trendete jüngst auf Twitter der Hashtag #WeidelLuegt. Worum geht es?
Behauptung: In dem Interview unter anderem über die Corona-Pandemie sagt Weidel am Mittwoch auf die Aussage des Journalisten, in den Krankenhäusern müssten überwiegend Ungeimpfte intensivmedizinisch behandelt werden: „Das stimmt nicht.“ Als Quelle nennt sie dabei angebliche Daten des Statistischen Bundesamtes.
Bewertung: Mit Blick auf Covid-Patienten auf Intensivstationen ist das falsch.
Fakten: Das Statistische Bundesamt (Destatis) reagierte schnell auf Weidels Behauptung - und wies diese von sich: „Bei uns gibt es keine Daten zum Impfstatus von Intensivpatientinnen und -patienten“, hieß es auf Twitter in Richtung der AfD-Politikerin. Von der Behörde konnte sie ihre angeblichen Zahlen also nicht haben.
Eine konkrete Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, auf welche Destatis-Daten sie sich beziehe, ließ die AfD-Politikerin unbeantwortet. Vielmehr schrieb ihr Büro per Mail: „Fakt ist, dass valide offizielle Zahlen nirgends vorliegen.“ Zugleich allerdings verwies der Pressesprecher auf die regelmäßig veröffentlichten Daten des Robert Koch-Instituts (RKI).
Und die RKI-Angaben zu geimpften und ungeimpften Corona-Fällen auf Intensivstationen zeigen klar: Nach RKI-Angaben mussten im November (1. bis 28. November) in allen untersuchten Altersgruppen weniger geimpfte als ungeimpfte Covid-Fälle dort behandelt werden.
Demnach waren unter den 18- bis 59-Jährigen von 598 Corona-Patienten 94 vollständig geimpft. Bei den Menschen ab 60 Jahren waren es 498 von 1119 Fällen. Alle anderen waren ungeimpft. Diese Daten erhebt das RKI nur bei den Fällen, bei denen aus den übermittelten Angaben hervorgeht, dass die Patienten entweder vollständig geimpft oder ungeimpft waren.
Mit Blick auf den Anteil der Impfdurchbrüche in den höheren Altersgruppen wurde in letzter Zeit teilweise behauptet, eine Impfung nutze nichts. Doch das ist erstens wissenschaftlich widerlegt und zweitens schon statistisch nicht richtig. Denn besonders bei älteren Menschen ist die Impfrate höher im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Statistisch gesehen bedeutet das: Je mehr Personen geimpft sind, umso mehr Impfdurchbrüche sind zu beobachten.
Das heißt bezüglich der RKI-Daten: Während im November auf Intensivstationen 44,5 Prozent der Corona-Patienten ab 60 Jahren geimpft waren, hatten in dieser Altersgruppe insgesamt 87,9 Prozent vollständigen Impfschutz. Bei den 18- bis 59-Jährigen waren in der Gesamtbevölkerung 75,5 Prozent vollständig geimpft, auf Intensivstationen 15,7 Prozent.
Das RKI hat aufgrund genau dieser Angaben methodisch geschätzt, dass eine Impfung bei Patienten 60 plus zu mehr als 85 Prozent davor bewahre, intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen. Bei den 18- bis 59-Jährigen lag dieser Impfschutz bei mehr als 90 Prozent.
Und dieser Trend ist auch nicht nur speziell für Intensivstationen gültig, sondern genauso für Krankenhauseinweisungen und symptomatische Corona-Fälle allgemein. Zum Beispiel schützte nach methodischer RKI-Schätzung eine Impfung bei Erwachsenen um circa 66 Prozent davor, an Covid-19 zu erkranken und Symptome zu entwickeln. Bei Jugendlichen lag dieser Wert im November bei etwa 90 Prozent.
Obwohl sich das Phoenix-Interview klar um die Corona-Pandemie und Covid-Patienten drehte, argumentierte Weidels Pressesprecher später gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit der Gesamtzahl der Menschen auf Intensivstationen: „In jedem Fall sind es nicht Covid-Patienten, egal ob geimpft oder ungeimpft, die die Mehrzahl der Betten auf den Intensivstationen belegen.“
Klar ist, dass auch Menschen nach Herzinfarkten oder schweren Autounfällen eine intensivmedizinische Betreuung brauchen. Nach Angaben des „Intensivregisters“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) waren am Donnerstag von den deutschlandweit knapp 20.000 Intensivbetten fast 5000 mit Covid-Patienten belegt.
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