Karlsruhe (dpa)
Karlsruhe prüft Befugnisse von Bayerns Verfassungsschützern
Im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus verwischen die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Jetzt steht das Bundesverfassungsgericht vor der Grundsatzfrage, was Nachrichtendienste dürfen und was nicht.
Landesinnenminister Joachim Herrmann hat die Ausweitung der Befugnisse der bayerischen Verfassungsschützer vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt.
Der CSU-Politiker sagte in der Karlsruher Verhandlung am Dienstag, zur Zeit der Reform 2016 habe nach der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) Einigkeit bestanden, dass der Austausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei verbessert werden müsse. Ein rechtsstaatlich gebundener Verfassungsschutz sei keine Bedrohung, sondern ein Garant für Freiheit und Sicherheit. Das gelte heute mehr denn je.
GFF sieht Grundrechte verletzt
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die das Verfahren angestoßen hat, sieht dagegen etliche Grundrechte verletzt und will verhindern, dass das Beispiel Bayerns bundesweit Schule macht.
GFF-Anwalt Bijan Moini sagte vor Verhandlungsbeginn, die Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes reichten viel zu weit. „Er kann zu viele Menschen zu früh beobachten, unter zu geringen Voraussetzungen. Er wird nicht hinreichend kontrolliert.“ Und es dürften zu viele Informationen an die Polizei weitergegeben werden.
Auf Herrmanns Initiative war das Gesetz damals sehr umfassend geändert worden. Die Verfassungsbeschwerde bezieht sich auf einen ganzen Strauß an Regelungen, unter anderem zur Online-Durchsuchung, zum Einsatz von V-Leuten, zum Abruf von Vorratsdaten, zur Überwachung von Wohnungen und zu längerfristigen Observationen. Im Landtag war die Reform, die zum 1. August 2016 in Kraft trat, gegen einigen Protest allein mit CSU-Stimmen beschlossen worden.
BVerfG-Präsident Harbarth: „Schwierige“ Fragen
Gerichtspräsident Stephan Harbarth sagte, die aufgeworfenen Fragen seien „nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht schwierig“. Denn sie bewegten sich „im Spannungsfeld zweier zentraler Ideen des Grundgesetzes: der wehrhaften Demokratie und des Schutzes individueller Freiheitsrechte“. Richterin Gabriele Britz, die im Ersten Senat für das Verfahren als Berichterstatterin zuständig ist, sagte, für die schwierige Austarierung würden nun Maßstäbe gesucht. Bisher seien nachrichtendienstliche Befugnisse noch nie in einer solchen Breite angegriffen worden.
Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer plädierte dafür, die Spielräume des Verfassungsschutzes zu reduzieren. Bei den Befugnissen von Polizei und Nachrichtendiensten gebe es inzwischen eine breite Zone der Überlappung, und die Hürden für den Austausch von Informationen seien kontinuierlich gesenkt worden. Dabei gilt eigentlich das sogenannte Trennungsprinzip: Die Geheimdienste wissen viel, dürfen aber nicht eingreifen. Dafür ist die Polizei zuständig, die nicht alles weiß.
Nicht immer unabhängige Kontrollen
Ein weiteres Problem ist die nicht bei allen Maßnahmen vorgesehene vor- oder nachträgliche Kontrolle durch eine unabhängige Stelle. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, sagte, bei der Führung von V-Leuten und verdeckten Mitarbeitern halte er das beispielsweise für schwierig. Anders als bei polizeilichen Quellen, die zum Beispiel für ein einzelnes Drogengeschäft eingesetzt würden, gehe es hier oft um sehr komplexe Strukturermittlungen, in die sich ein Richter erst einmal einarbeiten müsste.
Verfassungsbeschwerde erheben kann nur, wer „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“ in eigenen Rechten betroffen ist. Als Kläger hat die GFF deshalb drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gewonnen, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ erwähnt wird. Das Urteil ist erst in einigen Monaten zu erwarten. (Az. 1 BvR 1619/17)
Gegen die umstrittenen Gesetzesänderungen hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Die Entscheidung steht noch aus. 2018 hatte es noch einmal einige Änderungen an dem Gesetz gegeben.
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