London (dpa)
Deutsch? Nein danke! - Englische Schüler wenden sich ab
Seit Jahren geht die Zahl der Schülerinnen und Schüler zurück, die in England Deutsch lernen. Das liegt nicht unbedingt an einem gesunkenen Interesse an Deutschland. Doch der Trend scheint unumkehrbar.
„Servus“ und „Bleibt's gesund“: Der britische Thronfolger Prinz Charles (73) wendet sich regelmäßig auf Deutsch an sein Publikum, wenn er zu Besuch in der Bundesrepublik ist.
Queen Elizabeth II. (95) parliert immer wieder auf Französisch. Doch schon bei der jüngeren Royals-Generation sieht es mau aus mit den Fremdsprachenkenntnissen: Prinz William mühte sich vor einigen Jahren sichtlich ab bei einer teilweise auf Französisch gehaltenen Rede in Kanada. Und was beim Königshaus gilt, ist erst recht wahr, wenn es um die Untertanen geht: Die heranwachsende Generation lernt immer seltener Deutsch und andere Fremdsprachen.
Der jährliche Language-Trends-Bericht des britischen Kulturinstituts British Council ist ernüchternd: Wählten im Jahr 2005 noch mehr als 100.000 Kinder in England Deutsch für ihre Mittlere-Reife-Prüfung (GCSE), waren es im Jahr 2020 nur noch etwas mehr als 40.000. Bei den mit dem Abitur vergleichbaren A-Levels sank die Zahl der Deutsch-Prüflinge zuletzt sogar auf traurige 2666.
Fremdsprache kein Pflichtfach
Seinen Höhepunkt erlebte das Interesse an Deutsch im Jahr 2001, als sich 571.000 Schüler für Deutsch als Prüfungsfach bei der GCSE-Prüfung anmeldeten. Doch spätestens seit die damalige Labour-Regierung 2004 die Pflicht zur Wahl mindestens einer Fremdsprache als Prüfungsfach abschaffte, hat das Interesse englischer Schülerinnen und Schüler an Deutsch stetig nachgelassen. „Das war zweifelsohne katastrophal und das ist auch der Hauptgrund, warum man immer gegen den Strom schwimmt, wenn man die Sprachen stärken will“, sagt Katrin Kohl, die als Professorin für Deutsch an der Universität Oxford lehrt, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
An eine Umkehr dieses Trends ist nach Meinung Kohls kaum zu denken. Für immer weniger Schulen lohnt es sich, das Fach anzubieten. Und ist einmal keine Lehrkraft mehr da, die Deutsch unterrichten kann, kehrt das Fach kaum wieder an eine Schule zurück.
Doch warum wollen immer weniger Kinder in England Deutsch lernen? Hat das vermeintlich humorlose Land der ehemaligen Kriegsgegner noch weiter an Attraktivität eingebüßt als ohnehin schon? Vicky Gough vom British Council glaubt das nicht. Klar sei aber, dass Spanien bei vielen Kindern in Großbritannien mit Badeurlaub am Strand verbunden sei und daher eine größere Anziehungskraft ausübe. Von Deutschland wüssten viele englischen Schüler hingegen so gut wie nichts.
Schlechtere Noten
Aber das größte Problem ist - geradezu banal - ein statistisches: Wer Deutsch als Prüfungsfach wählt, schneidet im Schnitt etwas schlechter ab als Mitschüler, die sich beispielsweise für Geschichte entscheiden. Das ist nicht nur für die Schüler ein Problem, sondern auch für Schulen, deren Qualität und guter Ruf am Abschneiden ihrer Zöglinge bei zentralen Prüfungen gemessen wird. Zwar versucht die Regierung, hier gegenzusteuern, und tatsächlich wurden für das GSCE auch schon Veränderungen an der Benotung vorgenommen. Doch für das dem Abitur vergleichbare A-Level hat sich noch immer nichts geändert.
Hinzu kommt der Ruf des Deutschen, eine besonders schwierige Sprache zu sein. Deutsch zu lernen gilt geradezu als elitär. „Viele Menschen nehmen Deutsch als schwerer wahr als andere Sprachen und denken deshalb, dass es nur den sprachbegabtesten Schülern vorbehalten ist“, sagt Gough.
Auch eine Frage des Geldes
Gleichzeitig mit dem Nutzen für die schulische Laufbahn sind für englische Schüler auch die Gelegenheiten zum Austausch zurückgegangen. Die Unterbringung bei Gastfamilien gilt in Großbritannien inzwischen als risikobehaftet. Wer einen Schüler oder eine Schülerin bei sich aufnimmt, muss ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Da es aber in Deutschland und anderen Ländern keine vergleichbaren Regelungen gibt und die Übernachtung in Jugendherbergen und Hotels erheblich teurer ist, verzichten seit einigen Jahren viele Schulen auf die Auslandsaufenthalte. Die Pandemie brachte den Austauschbetrieb dann ohnehin zum Erliegen.
Nicht zuletzt ist es auch eine Frage des Geldes. Viele Schulen bieten nur noch eine Fremdsprache an, und da fällt die Wahl oft auf Französisch. Besonders stark zurückgegangen ist das Deutsch-Angebot an staatlichen Schulen und in wirtschaftlich schwächeren Gegenden. Während es an 70 Prozent der englischen Privatschulen für 11- bis 14-Jährige noch ein Deutsch-Angebot gibt, ist das nur noch bei einem Drittel der staatlichen Schulen der Fall. Und während sich die Schulen mit Deutsch-Angebot im reichen Süden des Landes konzentrieren, bildet der wirtschaftlich abgehängte Nordosten Englands das Schlusslicht.
Kann der Trend gestoppt werden?
Dabei sind Sprachkenntnisse nach wie vor selbst in England ein Plus am Arbeitsmarkt. Deutsch hält sich dabei auf Platz zwei nach Französisch, wie die Job-Börse Indeed kürzlich ermittelte. Demnach wird in jedem vierten Job-Gesuch in Großbritannien, das Sprachkenntnisse voraussetzt, Deutsch nachgefragt.
Auch die Leiterin des Goethe-Instituts in London, Katharina von Ruckteschell-Katte, sieht einen Rückgang an Deutschlernenden. Dabei erkennt sie einen deutlichen Zusammenhang mit dem Brexit - wenn auch anders, als man zunächst vermuten könnte. „Wir haben ja nicht nur Briten, sondern auch Europäer, und viele sind einfach weggegangen aus dem Land.“ Die britische Klientel habe sich hingegen gehalten. Das Interesse der Briten an deutscher Kultur - wenn auch nicht unbedingt Sprache - sei seit dem EU-Austritt sogar noch einmal größer geworden. Es herrsche Angst, den Kontakt und die Beziehungen zu verlieren. An eine Umkehr des Trends beim Deutschlernen glaubt Ruckteschell-Katte nicht, doch sie hofft, dass wenigstens der starke Abwärtstrend gestoppt werden kann.
© dpa-infocom, dpa:211229-99-531265/3