Berlin (dpa)
Bundesamt warnt vor EU-Plänen für grünes Atom-Label
Massive Bedenken gegen die Pläne der EU für ein nachhaltiges Label für die Atomkraft hat die deutsche Atombehörde BASE geäußert. Entscheidende Fragen zu den Gefahren seien nicht berücksichtigt.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) weist die EU-Pläne für ein grünes Label für Atomkraftwerke als „nicht haltbar“ zurück und warnt davor, sie in Kraft zu setzen. Das geht aus einer aktuellen Analyse hervor, die das Bundesamt heute vorstellt.
Darin kritisiert die Behörde die Vorgehensweise der EU-Kommission zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Investition unter anderem als „nicht nachvollziehbar“. Die Kommission verstelle den „Blick darauf, dass Atomenergie nicht nachhaltig ist“, und lasse sich „ausschließlich vom vermeintlich positiven Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz leiten“, schreibt das BASE in dem sechsseitigen Dokument, das der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag.
Zentrale Kriterien wie etwa die Gefahr von nuklearen Unfällen und die Schwierigkeiten bei der Entsorgung von Atom-Abfällen würden in der EU-Abwägung viel zu wenig beachtet, warnt das Bundesamt, das in Deutschland unter anderem den Umgang mit Atommüll beaufsichtigt. Auch zu neuartigen Reaktortypen und möglichen Laufzeitverlängerungen für bestehende Atommeiler seien viele Sicherheitsfragen offen, denen die Kommission nicht gebührend Rechnung trage, heißt es weiter.
Investitionen begünstigt
Hintergrund der kritischen Stellungnahme ist die geplante Einstufung auf EU-Ebene, die sogenannte Taxonomie, mit der die Kommission festlegen will, welche Geldanlagen künftig als klimafreundlich gelten sollen. Dazu hatte die Kommission am 31. Dezember einen Vorschlag vorgelegt, der vorsieht, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke als grün klassifiziert werden können, wenn sie neuesten Standards entsprechen und ein konkreter Plan für den radioaktiven Müll vorliegt. Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise als grün eingestuft werden können.
BASE-Chef Wolfram König warnte vor den negativen Auswirkungen der geplanten Atomkraft-Einstufung - auch für Deutschland. „Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar“, sagte König der dpa. Atomenergie sei „eine Hochrisikotechnologie“, die auch die „Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke“ berge.
„Kommenden Generationen bürden wir damit erhebliche Lasten auf, die auch mit dem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen sind“, sagte König.
Haftungssummen reichen nicht
Das BASE weist in seiner Analyse auch darauf hin, dass im Falle von Atom-Unfällen die Haftung von Kraftwerksbetreibern in vielen europäischen Ländern „stark limitiert“ sei. Im Falle „schwerer Unfälle mit erheblichem Austritt von Radioaktivität“ würden die Haftungssummen nicht reichen, befürchtet das Amt.
Auch das Argument der EU-Kommission, dass Atomkraftwerke (AKW) kaum klimaschädliche Gase ausstießen, greift laut BASE zu kurz. Es werde in der Bilanz nur der Betrieb der AKW betrachtet, nicht aber andere Lebenszyklus-Phasen wie Rückbau oder Urangewinnung, die dem Bundesamt zufolge durchaus zur Emission von Treibhausgasen beitragen.
Bereits im vergangenen Sommer hatte das BASE eine kritische Analyse zu einem Bericht des Joint Research Centers (JRC) veröffentlicht, dem wissenschaftlichen Dienst der EU-Kommission. In dem Bericht war das JRC zu einer positiven Bewertung der Atomenergie gekommen. Schon damals hatte das BASE dem EU-Dienst „fachliche Mängel“ bescheinigt.
Umstritten ist die geplante Taxonomie-Entscheidung auch unter den EU-Staaten. Die Bundesregierung hat dazu eine gespaltene Haltung: Während sie sich bereits in der Vergangenheit klar gegen die Aufnahme der Atomkraft ausgesprochen hatte, warb sie zugleich für ein grünes Label für Gas als notwendige Übergangstechnologie.
Die EU-Kommission hatte ihren Vorschlag dagegen von Anfang an gegen Kritik verteidigt. Damit könnten sich die Mitgliedstaaten von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen der Klimaneutralität annähern, hieß es aus der Behörde. Aus Sicht der Kommission könnten Investitionen in Erdgas und Kernenergie einen Beitrag dazu leisten, den Übergang zu sauberen Energiequellen zu beschleunigen.
Bis zum 21. Januar haben die EU-Länder Zeit, auf den Vorschlag zu reagieren. Dass sich die Pläne durchsetzen, gilt derzeit als wahrscheinlich - da sich neben Deutschland bislang zu wenige Länder klar gegen die besagte Einstufung der Atomkraft aussprechen.
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