Amsterdam (dpa)

Jüdischer Notar soll Anne Frank an Nazis verraten haben

Annette Birschel, dpa
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Von Annette Birschel, dpa
| 17.01.2022 11:23 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Anne Frank wurde durch ihre Tagebuchaufzeichnungen im Versteck ihrer Familie in Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Foto: -/ANP/dpa
Anne Frank wurde durch ihre Tagebuchaufzeichnungen im Versteck ihrer Familie in Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Foto: -/ANP/dpa
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Es ist eines der großen Rätsel der Geschichte: Wer verriet Anne Frank? Ein Cold-Case-Team kommt nun mit einer sehr wahrscheinlichen Antwort. Doch es ist ein Fall voller Tragik.

Das Versteck des jüdischen Mädchens Anne Frank und seiner Familie vor den Nationalsozialisten ist vermutlich von einem Notar verraten worden. Der Mann sei selbst Jude gewesen und habe damit das Leben seiner eigenen Familie retten wollen.

Das ist das Ergebnis der langjährigen Untersuchung, die ein internationales Team am Montag in niederländischen Medien präsentierte.

Es ist eines der großen Rätsel der Geschichte: Zwei Jahre lang lebten die Familie Frank und vier weitere Juden im Hinterhaus in Amsterdam im Versteck vor den deutschen Nazis. Doch am 4. August 1944 stürmte ein SS-Kommando das Haus. Mehr als fünf Jahre war das internationale Cold-Case-Team (als „cold case“ wird ein ungeklärter, also „kalter“ Kriminalfall aus der Vergangenheit bezeichnet) nun der Frage nachgegangen: Wie wurde das Versteck an der Prinsengracht 263 bekannt? War es Zufall? War es Verrat?

„Wir haben insgesamt etwa 30 Theorien überprüft“, sagte der Journalist Pieter van Twisk, einer der Leiter der Untersuchung. „Wir können sagen, dass davon 27, 28 sehr unwahrscheinlich bis unmöglich waren.“

Die wahrscheinlichste Antwort ist: Notar Arnold van den Bergh habe den deutschen Besatzern eine Liste mit Verstecken von Juden in Amsterdam übergeben, um seine eigene Familie vor der Deportation zu bewahren. Und auf dieser Liste stand eben auch das Hinterhaus, in dem Anne Frank (1929-1945) ihr heute weltberühmtes Tagebuch geschrieben hatte. Alle Bewohner wurden in Konzentrationslager deportiert. Anne starb im KZ Bergen Belsen 1945, sie war 15 Jahre alt. Nur ihr Vater Otto überlebte.

Kopie eines anonymen Briefes im Stadtarchiv

Die Untersucher stützen sich vor allem auf die Kopie eines anonymen Briefes, den Otto Frank 1946 bekommen hatte. Darin wird der Name des Notars genannt. Das Original des Briefes ist zwar verschwunden, im Amsterdamer Stadtarchiv hatte das Team nun aber die Kopie gefunden.

Der Notar war damals Mitglied des Jüdischen Rates, hatte daher viele Kontakte und war zunächst vor Deportation geschützt. Doch 1944 fiel dieser Schutz weg, und es drohte auch ihm, seiner Frau und den drei Töchtern die Deportation. Die Familie überlebte.

Ermittler: Kein Urteil fällen

Keiner der Untersucher will ein Urteil über den Notar fällen. „Die einzig Schlechten waren die Nazis“, sagte der ehemalige Agent des amerikanischen FBI, Vince Pankoke, der maßgeblich an der Untersuchung beteiligt war, „ohne sie wäre das alles nicht geschehen.“

Auch die Anne Frank-Stiftung warnt vor zu schnellen Schlussfolgerungen. Direktor Ronald Leopold sagte dem Radio-Sender NPO1: „Man muss sehr aufpassen, bevor man jemanden in der Geschichte als Verräter von Anne Frank festschreibt, wenn man nicht zu 100 oder 200 Prozent sicher ist.“ Leopold lobte die „sehr gute und sorgfältige Untersuchung“. Aber wichtige Fragen seien noch offen: Wer hat den anonymen Brief geschrieben und mit welcher Absicht?

„Dieser Fall war vereist“

Für den ehemaligen FBI-Mann Pankoke war dies einer der schwierigsten Fälle seiner Laufbahn, wie er sagte. „Dies war kein Cold Case, dieser Fall war vereist.“ Zeugen waren längst gestorben, wichtige Dokumente unauffindbar. Das Team setzte modernste Techniken und Methoden ein. So wurde zum Beispiel eine gigantische Datenmenge mit künstlicher Intelligenz durchforstet.

Gewissheit gibt es aber 77 Jahre nach Kriegsende noch immer nicht, räumte auch Ermittler Pankoke ein. „Unsere Theorie hat aber eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 85 Prozent.“

© dpa-infocom, dpa:220117-99-738582/5

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