Berlin (dpa)
Bundespräsident Steinmeier erinnert an NS-Wannseekonferenz
In einer Villa am Wannsee besprachen Beamte und Funktionäre des NS-Regimes vor 80 Jahren die Vernichtung der Juden Europas. Der Bundespräsident zeigt sich nachdenklich über die „Mordmaschinerie des Nationalsozialismus“.
Zum 80. Jahrestag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die schrecklichen Folgen der sogenannten Wannseekonferenz der Nationalsozialisten erinnert.
Am 20. Januar 1942 hatten hohe NS-Funktionäre bei dem Treffen über die systematische Ermordung der Juden Europas gesprochen. „Dass sich Gleiches nicht wiederholt, das ist die Absicht jeder Erinnerung an die Verbrechen des NS-Staates“, sagte Steinmeier am Dienstag in Berlin. In einem demokratischen Staat trage jeder Einzelne Verantwortung.
Schon vor der Wannseekonferenz hatte die nationalsozialistische Führung um Adolf Hitler die Ermordung von bis zu elf Millionen Juden in Europa beschlossen. Deportationen und Erschießungen hatten bereits begonnen. Ziel der Besprechung in einer Villa am Wannsee war es, die Umsetzung des Völkermords zu beschleunigen. Die Konferenz gilt als eines der Schlüsseldaten des Holocaust.
Steinmeier besuchte am Dienstag den historischen Ort des Treffens, der heute eine Gedenk- und Bildungsstätte ist. „Es darf nicht vergessen werden, was hier vor 80 Jahren geschah, als ein Staatsapparat, deutsche Verwaltungsbeamte, den Völkermord an den Jüdinnen und Juden Europas planten“, schrieb der Bundespräsident ins Gästebuch. „Möge diese Gedenk- und Bildungsarbeit dazu beitragen, dass Geschichte sich nicht wiederholt.“
Am Abend äußerte sich Steinmeier dann zur Premiere des ZDF-Films „Die Wannseekonferenz“, der am kommenden Montag (24.1.) im Fernsehen laufen soll. Der Präsident nannte den Film beeindruckend gut, aber auch verstörend.
„Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich – abgesehen vom Inhalt der Besprechung – in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt“, sagte Steinmeier. „Es ist das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert.“ Der Film zeige eine Inszenierung der Banalität des Bösen.
„Wie konnte die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus so perfekt funktionieren? Und was bedeutet persönliche Verantwortung in einer Diktatur?“, fragte Steinmeier. Er verwies auf Erkenntnisse der Schriftstellerin Hannah Arendt. Totalitäre Systeme würden nicht nur von Dämonen und Monstern getrieben. Vielmehr sei es so, „dass in diesen Systemen so viele kleine Rädchen ineinandergreifen, bis die Verantwortung des Einzelnen unkenntlich geworden ist und kein Unrechtsbewusstsein mehr existiert. Die Banalität des Bösen ist die seelenlose Bürokratie einer Diktatur, die Herrschaft der Niemande.“
Steinmeier fügte hinzu: „Seien wir keine Niemande. Scheuen wir die Verantwortung nicht - auch nicht die, Nein zu sagen, wo es Recht und Mitmenschlichkeit gebieten.“
Teilnehmer der Wannseekonferenz unter Leitung des SS-Offiziers Reinhard Heydrich waren Staatssekretäre aus Berliner Ministerien, Vertreter der NSDAP, des Sicherheitsapparats und der Verwaltung der Ostgebiete. Zentrale Figur war neben Heydrich der SS-Offizier Adolf Eichmann, Referatsleiter „Judenangelegenheiten und Räumungen“ im Reichssicherheitshauptamt. Zu dem Treffen existiert ein 15 Seiten langes Protokoll, auf das sich auch der ZDF-Film stützt.
„Es zeigt, wie Sprache selbst zu einem Mordwerkzeug wird“, sagte Steinmeier. Sie diene zur Abstrahierung und Verschleierung. Dies habe es Beamten, Polizisten oder Lokführern erlaubt, an der Deportation und Ermordung von Millionen Juden mitzutun, und zugleich ihr Gewissen entlastet. Millionen Deutsche seien zu Mitwissern geworden. „Das Protokoll der Wannseekonferenz ist eine Tatwaffe“, erklärte der Bundespräsident. „Die Schmauchspuren, die sie hinterließ, sind bis heute nachweisbar.“
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