Ehingen (dpa)

Vor zehn Jahren ging Schlecker insolvent

Oliver Schmale, dpa
|
Von Oliver Schmale, dpa
| 20.01.2022 00:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Eine Schlecker-Mitarbeiterin reißt das Firmenlogo von der Eingangstür einer Filiale. Foto: picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa
Eine Schlecker-Mitarbeiterin reißt das Firmenlogo von der Eingangstür einer Filiale. Foto: picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa
Artikel teilen:

Es war einst die größte Drogeriemarktkette Europas. Jahrelang ging die Expansion von Schlecker gut. Doch dann verpasste das Unternehmen den Anschluss an den Markt und ging 2012 Pleite.

Der Name Schlecker war einst ein Begriff. In nahezu jeder Kommune in Deutschland hing zeitweise mindestens einmal der Laden-Schriftzug mit dem Logo, weiße Schrift auf blauen Grund. Das Gesicht dazu kannten aber nur die wenigsten Menschen.

Das änderte sich schlagartig, als das Imperium des Drogeriekönigs und Selfmademan Anton Schlecker aus Ehingen bei Ulm Insolvenz anmelden musste. Vor zehn Jahren, am 23. Januar 2012, war es soweit. Angekündigt hatte der Drogeriekonzern den Schritt schon drei Tage früher. Rund 25.000 Beschäftigte in Deutschland, vor allem Frauen, verloren ihren Job. „Es gab vermutlich in Deutschland bislang kaum ein vergleichbares Insolvenzverfahren hinsichtlich des öffentlichen und medialen Interesses“, heißt es im Büro von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz.

Der Niedergang des Schlecker-Imperiums zeichnete sich schon über ein halbes Jahr vor der Pleite ab. Im Juni 2011 kündigte das Unternehmen an, rund 10 Prozent der über 8000 Filialen in Deutschland zu schließen. Grund sei deren unzureichende Wirtschaftlichkeit. Die Probleme waren hausgemacht. Schlecker habe versucht, mit immer mehr Läden noch größer zu werden, mehr Einkaufsvorteile zu erzielen, um noch günstigere Preise erzielen zu können, sagt der Sprecher des Insolvenzverwalters. „Die Kunden blieben jedoch aus, weil die Läden zu klein, zu alt und unattraktiv waren.“ Der Umbau von der einstmals größten Drogeriekette Europas konnte nicht rasch genug umgesetzt werden, weil das Geld dazu fehlte. „Und dann fiel das auf Expansion gebaute Kartenhaus in sich zusammen.“

Die Schlecker-Rettung scheitert auch an der Politik

Legendär sind die Worte von Schleckers Tochter Meike wenige Tage nach der Insolvenzanmeldung auf einer Pressekonferenz zusammen mit Insolvenzverwalter Geiwitz. Sie wird gefragt, warum der Vater denn nicht mit Geld aus seinem Privatvermögen das Unternehmen gestützt habe. Meike Schlecker rückte auf ihrem Stuhl nach vorn und antwortete: „Ich glaube, Sie haben das nicht verstanden. Es ist nichts mehr da.“ Als sogenannter Einzelkaufmann haftete er mit allem, was er besaß. Etwa 28.000 Gläubiger haben Forderungen von etwas über 1,2 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle angemeldet.

Der Fall Schlecker wird auch zum Politikum. Im März 2012 scheitert der Versuch von Geiwitz, eine Transfergesellschaft für knapp 10.000 vor der Kündigung stehende Beschäftigte auf die Beine zu stellen. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) lehnt einen Kredit durch die Staatsbank KfW ab und verweist auf die Zuständigkeit der Länder. Die FDP-Wirtschaftsminister in Bayern, Niedersachsen und Sachsen verhindern die Bildung der Gesellschaft. Und Rösler sorgt für zusätzliche Empörung, weil er den von Entlassung betroffenen Frauen der Drogeriekette empfohlen hatte, selbst eine neue Arbeit zu finden und dies als „Anschlussverwendung“ bezeichnet.

Auch zehn Jahre nach der Insolvenz ist Christel Hoffmann, die ehemalige Betriebsratschefin des Konzerns, noch empört. „Bei Schlecker hatte die Politik die Türen zugeschlagen. Die dort beschäftigten Frauen waren der Politik nicht wichtig“, sagt die heute 68-Jährige. Auch die heutige SPD-Bundestagsabgeordnete und damalige Verdi-Chefin von Baden-Württemberg, Leni Breymaier, meint rückblickend, Schlecker habe einfach ein zu schlechtes Image gehabt. Deshalb habe es kein Engagement der Politik gegeben.

Die Insolvenz und das juristische Nachspiel

Die frühere Betriebsratschefin arbeitete knapp 20 Jahre bei dem Drogerieunternehmen. Das große Manko der Familie Schlecker war aus Sicht von Hoffmann, dass diese beratungsresistent gewesen sei. In Ihrer Betriebsratszeit habe sie Anton Schlecker nie zu Gesicht bekommen, sagt Hoffmann. Einer breiteren Öffentlichkeit musste sich der Metzgermeister, der seinen ersten Drogeriemarkt nach dem Wegfall der Preisbindung für Markenartikel in den 1970er Jahren eröffnet hatte, während des Prozesses vor dem Landgericht Stuttgart stellen.

2017 wurde Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Im Wissen um die bevorstehende Insolvenz habe er Geld zur Seite geschafft. Ihm blieb das Gefängnis erspart. Seinen Kindern aber nicht. Meike und Lars Schlecker mussten ins Gefängnis. Sie waren in letzter Instanz zu Haftstrafen von jeweils zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Über zehn Millionen Euro hatten die Schleckers in der Vergangenheit an den Insolvenzverwalter zurückgezahlt.

Im Handel sind die Marktanteile von Schlecker dagegen längst neu verteilt. „Die Pleite von Schlecker hat erst einmal ein Riesenloch gerissen. Vor allem dm und Rossmann haben danach massiv um die Schlecker-Kunden gekämpft und sich regelrechte Preisschlachten geliefert. Das hat sich für beide ausgezahlt: Am Ende haben sie sich das größte Stück vom Kuchen gesichert“, sagt Handelsexperte Thomas Montiel-Castro vom Marktforschungsunternehmen NielsenIQ.

Kommt das Schlecker-Comeback?

„Der Platzhirsch dm konnte seinen Marktanteil danach von 28,5 Prozent auf über 40 Prozent steigern, Rossmann von 22,5 Prozent auf 33,5 Prozent“, berichtet Mirko Warschun von der Unternehmensberatung Kearney. Andere Drogeriemarktketten hätten dagegen nur wenig profitiert. Und auch die großen Lebensmittelhändler seien weitgehend leer ausgegangen, als die Marktanteile von Schlecker neu verteilt wurden. „Sie hatten in ihren Filialen einfach nicht genug Platz, um eine wirklich konkurrenzfähige Produktauswahl im Drogeriewarensegment anzubieten, und in den Augen vieler Kunden fehlte es ihnen vielleicht auch an Kompetenz in diesem Bereich“, sagt der Branchenkenner.

Inzwischen hat der in Österreich ansässige Geschäftsmann Patrick Landrock angekündigt, die Marke Schlecker wiederbeleben zu wollen. So solle Schlecker kein reiner Drogeriemarkt mehr werden, sondern auch stark mit Produkten des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln, Büro- und Geschäftsbedarfsprodukten sowie Baumarktartikeln auftreten. Der Online-Vertrieb solle im ersten Halbjahr starten. Die ersten Filialen sollen dann folgen, in diesem Jahr seien 50 Verkaufsstellen geplant. Der Start des Online-Vertriebs sei bereits finanziert.

Landrock ist eigenen Angaben zufolge Markeninhaber von Schlecker. Ein Sprecher des Insolvenzverwalters sagt, die Rechte an der Marke konnten im Zuge des Insolvenzverfahrens nicht an einen geeigneten Bieter veräußert werden. „Da die Marken seit 2012 nicht genutzt wurden, hat die Insolvenzverwaltung diese - nach einem Hinweis des Deutschen Marken- und Patentamts - gelöscht beziehungsweise die Eintragung nicht verlängert.“ Der Insolvenzverwalter verhandelte einst auch mit Landrock: „Zu einem Verkauf kam es seinerzeit nicht.“

© dpa-infocom, dpa:220119-99-763434/3