Berlin (dpa)

Nein zur Atomkraft gegenüber EU - Gas als Brückentechnologie

Theresa Münch, Fatima Abbas und Martina Herzog, dpa
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Von Theresa Münch, Fatima Abbas und Martina Herzog, dpa
| 22.01.2022 03:12 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Das Atomkraftwerk in Flamanville. (Archivbild). Foto: Charly Triballeau/AFP/dpa
Das Atomkraftwerk in Flamanville. (Archivbild). Foto: Charly Triballeau/AFP/dpa
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Die EU streitet darüber, ob Gas und Atomkraft künftig als „nachhaltig“ gelten sollen. Deutschland positioniert sich in einer Frage ganz klar - und stellt in einer anderen Bedingungen.

Die Bundesregierung wendet sich bei der EU-Kommission klar gegen die Einstufung von Atomkraft als nachhaltig und plädiert für höhere Anforderungen an Gas als Überbrückungslösung.

Das geht aus ihrer Stellungnahme zu den umstrittenen Kommissionsplänen zur sogenannten Taxonomie hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und die am Freitagabend nach Brüssel übermittelt wurde.

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) sagten der dpa: „Als Bundesregierung haben wir unsere Ablehnung zur Einbeziehung von Atomenergie nochmal deutlich zum Ausdruck gebracht.“ Sie sei riskant und teuer, außerdem gebe es rechtliche Bedenken. Im Bereich Gas habe man Präzisierungshinweise an die Kommission formuliert. So brauche es aus Sicht der Bundesregierung gesonderte Grenzwerte für Fernwärmenetze und den Ersatz von alten durch neue Gaskraftwerke.

„Sollte der delegierte Rechtsakt unverändert bleiben und die Kommission die kritischen Stellungnahmen etlicher Mitgliedsstaaten und auch unsere unberücksichtigt lassen, sollte Deutschland ihn unserer Meinung nach ablehnen“, betonten die beiden Grünen-Minister.

Grün unter bestimmten Voraussetzungen

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Voraussetzungen als „grüne“ Investitionen eingestuft werden. Die „Taxonomie“ definiert, welche Bereiche der Wirtschaft als klimafreundlich gelten. Bürger und Investoren sollen so klare Informationen über nachhaltige Finanzprodukte erhalten - das soll dabei helfen, die für die Klimawende benötigten Milliarden zu mobilisieren.

Bis Freitag um Mitternacht hatten Deutschland und die 26 weiteren EU-Mitgliedstaaten Zeit, um zum Vorschlag der Kommission Stellung zu beziehen. Im Anschluss will die Kommission aus dem Entwurf einen offiziellen sogenannten delegierten Rechtsakt machen - und so den nächsten Schritt zur Umsetzung einleiten.

Deutschland formuliert in seiner Stellungnahme nun klar: „Aus Sicht der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig.“ Schwere Unfälle mit Gefährdung von Mensch und Umwelt könnten nicht ausgeschlossen werden. Zudem sei Atomenergie teuer und die Endlagerfrage nicht gelöst. „Je länger Atomkraftwerke laufen, desto größer wird das Problem des Atommülls“, argumentiert die Bundesregierung. Insgesamt ergäben sich rechtliche Bedenken: Es sei zweifelhaft, ob die Aufnahme von Atomenergie mit den Vorgaben der Taxonomieverordnung vereinbar sei.

Fossiles Gas für den Übergang

Langfristig, so schreibt die Bundesregierung, sei auch die Nutzung von Erdgas nicht nachhaltig. Jedoch bilde fossiles Gas in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen Übergangszeitraum eine Brücke, um einen schnelleren Kohleausstieg zu ermöglichen und kurzfristig CO2 einzusparen. Deutschland hatte die Aufnahme von Gas in die Taxonomie in der Vergangenheit deutlich unterstützt.

Nun heißt es in der Stellungnahme, Gas sei als Brücke so lange nötig, bis das Gasenergiesystem mittelfristig auf erneuerbaren Energien beruhen könne. Wichtig seien allerdings realistische Bedingungen, damit dieser Umbau nicht behindert werde. Bei der geplanten Umstellung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff fordert die Bundesregierung etwa mehr Flexibilität ein. Die von der Kommission anvisierten Quoten seien angesichts erwarteter Knappheiten in der Anfangszeit zu starr.

Umweltverbände hatten die Bundesregierung aufgefordert, die EU-Pläne sowohl für Gas als auch für Atomkraft entschieden abzulehnen. Sie befürchten durch die Einstufung unter anderem „falsche Anreize“ und Nachteile für erneuerbare Energien.

Nur wenige Länder lehnen Klassifizierung ab

Doch ein Stoppen der Pläne könnte schwierig werden: Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte, dass die Brüsseler Behörde Rückmeldungen der EU-Länder studieren und den Vorschlag „so schnell wie möglich“ offiziell annehmen wolle. Nur eine Mehrheit von mindestens 20 Staaten oder der Abgeordneten im EU-Parlament könnte ihn ausbremsen - was sich derzeit nicht abzeichnet.

Nach einer Recherche der dpa befürworten mindestens elf Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Polen und Ungarn, die Pläne ausdrücklich. Nur wenige Länder, etwa Österreich, Spanien und Dänemark, lehnen die geplanten Klassifizierungen ab. Österreich und Luxemburg erwägen sogar, dagegen zu klagen.

Die Bundesregierung meldet am Ende ihrer Stellungnahme Kritik am Entscheidungsverfahren an. „Angesichts der sehr grundsätzlichen und politischen Bedeutung der hier behandelten Fragen“ wäre ein reguläres Gesetzgebungsverfahren besser geeignet, da dieses „angemessene Einflussmöglichkeiten“ für die EU-Staaten und das Europaparlament gewährleistet hätte. Dieses Verfahren hatten EU-Staaten und Parlament allerdings in einer früheren Verordnung 2020 selbst beschlossen.

Lemke kritisiert Erdgas-Einstufung

Lemke hatte zuvor deutliche Kritik an der Einstufung von Gas geübt. „Ich bin überzeugt, dass weder für Erdgas noch für Atomkraft die Einstufung als nachhaltig in der Taxonomie nötig ist“, sagte sie der dpa. Auch wenn Deutschland auf Erdgas für „einen kurzen Übergangszeitraum“ angewiesen sei, brauche es dafür kein Nachhaltigkeitssiegel auf EU-Ebene, hatte sie erklärt.

Anders sieht das Lukas Köhler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende des Koalitionspartners FDP. „Investitionen in Gas sind nachhaltig, wenn langfristig der Umstieg auf klimafreundlichen Wasserstoff sichergestellt ist“, sagte Köhler der dpa. Deutschland sei „gut beraten, zwischen Gas und Kernenergie zu unterscheiden“. Die Aufnahme von Gas in die sogenannte EU-Taxonomie sei auch eine Frage der Versorgungssicherheit. „Ohne einen massiven Zubau an Gaskraftwerken kann die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet werden“, sagte Köhler.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen warb für die Unterstützung künftiger Gaskraftwerke. „Diese Kraftwerke sichern vor allem den Ausbau der witterungsabhängigen Erneuerbaren Energien ab und ermöglichen damit auch den Kohleausstieg“, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Diese „Transformations-Kraftwerke“ in die EU-Taxonomie aufzunehmen, sei „im ureigensten Interesse Deutschlands“.

© dpa-infocom, dpa:220122-99-805078/2

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