Ouagadougou (dpa)
Militärputsch: Sorge um Stabilität in Westafrika
Es ist der vierte Putsch in Westafrika innerhalb von rund 18 Monaten. In Burkina Faso, Mali und Guinea regiert nun das Militär. Gerät die Stabilität der ganzen Region ins Wanken?
Meuternde Soldaten haben Burkina Fasos Präsident Roch Marc Kaboré gestürzt und die Macht in dem westafrikanischen Krisenstaat übernommen. Das teilte ein Sprecher der Putschisten im Staatsfernsehen mit.
Die Regierung sei aufgelöst, die Verfassung außer Kraft gesetzt worden, sagte Sidsoré Kader Ouedraogo, der im Auftrag der Patriotischen Bewegung für den Schutz und die Wiederherstellung (MPSR) sprach. Man wolle Gewalt und Blutvergießen vermeiden.
Die MPSR werde bald bekanntgeben, wie und wann Burkina Faso zur Demokratie zurückkehren werde, sagte Ouedraogo weiter. Die Grenzen des Landes blieben für mindestens vier Tage geschlossen, zudem gelte zwischen 21 und 5 Uhr eine Ausgangssperre.
Kaboré im Militärcamp
Wenige Stunden zuvor war Kaboré festgesetzt und in ein Militärcamp in der Hauptstadt Ouagadougou gefahren worden. Lokale Medien verbreiteten Fotos des mit Schusslöchern übersäten Autos des Präsidenten. Am Montagnachmittag meldete sich Kaboré dann über Twitter zu Wort und bat die Soldaten, die Waffen niederzulegen und sich auf einen Dialog einzulassen. Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas und die Afrikanische Union erklärten, sie unterstützten die Regierung. Die US-Botschaft in Ouagadougou blieb „aufgrund der anhaltenden Sicherheitsbedenken“ geschlossen.
UN-Generalsekretär António Guterres ließ mitteilen, er sei angesichts des Putsches zutiefst beunruhigt: „Der Generalsekretär verurteilt entschieden jeden Versuch einer Regierungsübernahme mit Waffengewalt. Er fordert die Putschisten auf, die Waffen niederzulegen und die körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und der Institutionen Burkina Fasos sicherzustellen“, hieß es.
Die Europäische Union forderte am Abend die sofortige Freilassung von Kaboré und anderen festgesetzten Angehörigen staatlicher Institutionen. Sie rief zudem die Sicherheitskräfte und Militärs auf, ihre Ansprüche gewaltlos geltend zu machen und ihrer primären Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung und der Verteidigung des Territoriums treu zu bleiben. Man appelliere an alle Akteure, Ruhe zu bewahren und Zurückhaltung zu üben, hieß es in einer Erklärung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
Erst Mitte Januar hatte die Armee mehrere Soldaten eines Putschversuchs beschuldigt und festgenommen. Doch auch im Volk war Kaboré längst nicht unumstritten: Am Samstag forderten Hunderte Demonstranten in der Hauptstadt seinen Rücktritt.
Burkina Faso befindet sich vor allem wegen des zunehmenden islamistischen Terrors in der Sahelzone in einer schweren Krise. Viele Milizen, die zum Teil dem Islamischen Staat (IS) oder der Terrororganisation Al-Kaida die Treue geschworen haben, agieren über die Grenzen zu Mali und dem Niger hinweg. Mehr als eine Million der 21 Millionen Landesbewohner gelten als Binnenvertriebene.
Ohnmächtige Regierungen
Der Unmut innerhalb der Bevölkerung, die Kaboré und seiner Regierung Handlungsunfähigkeit vorwirft, hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Auch langwierige Dürren und Hungersnöte machen dem trotz seines Goldreichtums verarmten Land zu schaffen.
Die Regierungen Burkina Fasos und seiner Nachbarn haben in den wüstenartigen Weiten außerhalb der Städte wenig Kontrolle. Mit Mali, Mauretanien, dem Tschad und dem Niger hat sich Burkina Faso deshalb zur G5-Sahel-Gruppe zusammengeschlossen, um die Terrorgruppen zu bekämpfen. Auch Deutschland und Frankreich unterstützen das Bündnis. Über Burkina Faso reisen viele Menschen in den Niger, eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten, die das Mittelmeer erreichen und nach Europa übersetzen wollen.
Der Putsch in Burkina Faso ist der vierte in Westafrika binnen rund 18 Monaten und schürt Ängste, die gesamte Region könne destabilisiert werden. Das Nachbarland Mali, wo auch die Bundeswehr mit etwas mehr als 1350 Soldatinnen und Soldaten stationiert ist, hat im August 2020 sowie Mai 2021 Militärputsche erlebt und gilt als politisch äußerst instabil. Auch im weiter westlichen gelegenen Guinea ist seit der gewaltsamen Absetzung von Präsident Alpha Condé im September das Militär an der Macht.
Kampf gegen Islamisten
Im Norden Burkina Fasos gilt das an Mali und den Niger grenzende Länderdreieck seit Monaten als Sperrgebiet. Besonders hier erlitt die Armee große Verluste im Kampf gegen den Terror. Als Extremisten im November in der nördlichen Stadt Inata 49 Militärpolizisten und vier Zivilisten töteten, gab es einen Sturm der Entrüstung.
Soldaten verlangten mehr Lohn und bessere Ausstattung im Kampf gegen die Islamisten. Anschuldigungen, die Regierung kümmere sich nicht ausreichend um die Familien verletzter oder getöteter Streitkräfte, mehrten sich. Berichte über fehlende Lebensmittelrationen und schäbige Kasernen führten zu Protesten. Immer mehr Soldaten und Zivilisten forderten den Rücktritt Kaborés. Der setzte zwar im Dezember auf Druck der Öffentlichkeit seinen Premierminister ab und bildete eine neue Regierung - doch handfeste Reformen folgten nicht.
„Kaboré hat versucht, die Öffentlichkeit zu besänftigen, indem er seine Regierung umbildete, verschiedene Ebenen der Militärführung ersetzte und regierungskritische Proteste verbot“, sagte Alexandre Raymakers, politischer Analyst der Sicherheitsberatungsfirma Verisk Maplecroft. Dies habe die Wut der Menschen jedoch nicht eindämmen können.
© dpa-infocom, dpa:220124-99-826636/9