Berlin (dpa)
Bildungsverband: Lehrkräftemangel schlimmer als bekannt
Der Lehrkräftemangel gehört zu den Dauerthemen in der Bildungspolitik. Nun legt ein Verband neue Zahlen vor. Das Problem ist demnach deutlich größer als bisher angenommen.
In Deutschland fehlen einer Studie der Bildungsgewerkschaft VBE zufolge in den kommenden Jahren deutlich mehr Lehrkräfte als bisher bekannt.
Der Verband geht davon aus, dass zusammengerechnet in den Jahren bis 2030 rund 81.000 Lehrerinnen und Lehrer weniger zur Verfügung stehen als gebraucht werden.
Der Mangel wäre damit deutlich größer als von der Kultusministerkonferenz (KMK) in ihren Prognosen angenommen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) legte die Untersuchung am Dienstag vor.
Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann nannte die bisherigen KMK-Modellrechnungen zum Neuangebot ausgebildeter Lehrkräfte bis 2030 „unseriös“. Die Annahmen seien weder durch die Entwicklungen bei den Studierendenzahlen im Lehramtsstudium gedeckt, noch durch die Zahl der Schulabsolventinnen und -absolventen in den kommenden Jahren.
Der mit der Untersuchung beauftragte Bildungsforscher Klaus Klemm hatte sich die KMK-Prognosen zum sogenannten Lehrkräfteeinstellungsbedarf, die entsprechende Rückmeldungen aus den Bundesländern zusammenführen, genauer angesehen. In der aktuellsten Prognose von 2020 wird von rund 363.000 Lehrkräften ausgegangen, die in den kommenden Jahren eingestellt werden müssen und von einem Angebot an Absolventen von knapp 350.000. Daraus ergibt sich eine rechnerische Lehrkräftelücke von 13.000.
Klemm nannte die Berechnungen auf der Angebotsseite „abenteuerlich“. Das Lehrkräfteangebot werde massiv überschätzt. Etwa die Hälfte der Länder würden die aktuellen Angebote von Absolventen bis 2030 einfach fortschreiben, ohne Rücksicht auf das, was sich verändern könnte. Er kritisierte speziell die Zahlen aus Sachsen, wo die prognostizierte Zahl von Absolventen in den kommenden Jahren genau mit denen der benötigten Lehrkräfte übereinstimmen. Rechnerisch entsteht daraus gar keine Lehrkräftelücke.
Der Bildungsforscher legte für seine eigenen Berechnungen die Zahl der Schulabgänger mit allgemeiner Hochschulreife und den Anteil davon, der ein Lehramtsstudium aufnimmt und abschließt, zu Grunde. Auf Basis dieser Rechnung kommt er mit 286.000 auf ein deutlich geringeres Angebot als die von den Ländern errechneten 350.000 neuen Lehrkräfte. Bei einem von Klemm errechneten Bedarf von 367.000 Lehrkräften ergibt sich eine Lücke von 81.000.
Der VBE wies zudem auf den geplanten Ganztagsausbau, den zusätzlichen Bedarf an Sonderpädagogen und die von der Ampel-Regierung geplante Förderung von Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten hin. Für diese Maßnahmen werden der Studie zufolge weitere 74.000 Lehrkräfte benötigt. Die Zahlen der KMK verschleierten den tatsächlichen Lehrerbedarf, kritisierte Beckmann.
Die Präsidentin der KMK, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), sagte am Dienstag, alle 16 Länder seien sich der Lage bewusst und ergriffen landesspezifische Maßnahmen. „Der bereits in der Vergangenheit prognostizierte Engpass wird durch die Folgen steigender Geburtenzahlen und Zuwanderung und vieles mehr noch verstärkt. Solche Ergebnisse von Studien sind für uns also nicht neu und wir haben die Entwicklung im Blick.“
Prien fügte hinzu, dass kontinuierlich an der methodischen Weiterentwicklung der Prognosen gearbeitet werde. Eine aktualisierte Vorausberechnung des Lehrkräftebedarfs wird voraussichtlich im Frühjahr vorgelegt.
Insgesamt gibt es in Deutschland rund 40.000 Schulen und Berufsschulen, etwa elf Millionen Schülerinnen und Schüler und mehr als 800.000 Lehrkräfte. Der Lehrkräftemangel verteilt sich nicht auf alle Schularten gleich: Den Zahlen der Kultusministerkonferenz zufolge wird die Lage vor allem im Sekundarbereich I - also oberhalb der Grundschule - in den nächsten Jahren angespannt bleiben. Auch an Berufsschulen wird mit einem jährlichen Unterangebot gerechnet. Einen Lehrerüberschuss gibt es dagegen an Gymnasien. An den Grundschulen wird ab Mitte 2025 mit einer Trendumkehr hin zu einem Überangebot ausgegangen.
© dpa-infocom, dpa:220125-99-846675/2