Lissabon (dpa)
Überraschender Triumph für Portugals Sozialisten
Niemand wollte diese Wahl und kaum jemand hatte dieses Ergebnis erwartet. Portugals Sozialisten haben erreicht, was ihnen seit 1975 bisher nur einmal gelungen war: die absolute Mehrheit im Parlament.
Portugals Ministerpräsident António Costa konnte sein Glück kaum fassen, als die Ergebnisse der Parlamentsneuwahl auf den Bildschirmen auftauchten.
Bei der Neuwahl des Parlaments gelang seiner Sozialistischen Partei (PS) wider Erwarten ein großer Triumph: Die eher sozialdemokratisch eingestellte PS errang mit 41,68 Prozent die absolute Mehrheit in der „Assembleia da República“ in Lissabon. Sie wird nach amtlichen Angaben mindestens 117 der insgesamt 230 Sitze besetzen. Es war erst das zweite Mal seit der Nelkenrevolution und der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1975, dass die Sozialisten einen solchen Erfolg erzielten. Und Costa könnte mit weiteren vier Jahren zum Regierungschef mit der längsten Amtszeit werden.
Großer Verlierer war sein Herausforderer Rui Rio von der konservativen PSD. Sie landete abgeschlagen bei nur 27,8 Prozent. Und auch kleinere linke Parteien, auf die Costas Minderheitsregierung bisher angewiesen war, erlitten heftige Verluste. Ein weiterer Verlierer sind Umfrageinstitute, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Costa und Rio vorhergesagt hatten.
„Werden nicht alleine regieren“
„Riesenerfolg von Costa“, meinte der staatliche Fernsehsender RTP. Ein TV-Kommentator sprach von einem „Blankoscheck“ für die PS. Mit rotem Schlips und roter Corona-Maske, die sein breites Lächeln nicht verbarg, trat Costa in der Wahlnacht vor die Kameras. In seiner Siegesrede zeigte er sich aber zurückhaltend und verzichtete auf zu großen Jubel. Statt dessen Demut. „Absolute Mehrheit bedeutet nicht absolute Macht. Wir werden nicht alleine regieren“, betonte der 60-Jährige und sagte, was Wahlsieger oft am Wahlabend sagen: Er versprach „Dialog“ und dass er „für alle Portugiesen“ regieren werde.
Dennoch bedeutet die absolute Mehrheit, dass die Sozialisten ab jetzt allein die Verantwortung tragen. „Von nun an und mit diesen Ergebnissen kann die PS machen, was sie will“, kommentierte die angesehene Zeitung „Público“. Dabei seien die Sozialisten nur dem Gesetz und der Demokratie sowie Gerechtigkeit und Ehrlichkeit verpflichtet. „Ausreden haben sie nun nicht mehr“, schrieb das Blatt.
Costa hat damit freie Hand, in Portugal eine Neuauflage des vor Ausbruch der Corona-Pandemie vielgefeierten „Wunders“ in dem EU-Land zu versuchen. Seit Ende 2015 führte er zwei Minderheitsregierungen, die von den kleineren linken Parteien wie dem marxistischen Linksblock (BE), den Kommunisten (PCP) und den Grünen (PEV) unterstützt wurden. Ein formelles Koalitionsabkommen gab es nicht. Medien und politische Rivalen sprachen spöttisch von einer „Geringonça“ (einem Klappergerüst).
Am Haushalt gescheitert
Die Zusammenarbeit zerbrach im Herbst vergangenen Jahres, als BE, PCP und PEV für viele überraschend im Parlament zusammen mit der konservativen Opposition Costas Haushaltsentwurf für 2022 ablehnten. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa rief daraufhin Anfang November Neuwahlen aus.
Die einstigen Verbündeten hatten von der sozialistischen Regierung auch mit Blick auf die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU unter anderem mehr Sozialausgaben im Etat 2022 gefordert. Costa aber wollte seine zurückhaltende Ausgabenpolitik nicht aufgeben.
Im Wahlkampf hatte Costa immer wieder gesagt, nur mit einer „stabilen Regierung“ werde man wieder an die Erfolge der Zeit vor der Pandemie anknüpfen können. Nach den schweren Jahren der Euro-Krise hatte er Portugal sehr erfolgreich geführt. Zwischen 2016 und 2019 lag das Wirtschaftswachstum des kleinen Landes mit nur 10,3 Millionen Einwohnern unter anderem auch dank des boomenden Tourismus deutlich über EU-Schnitt. Die Arbeitslosenrate wurde rapide zurückgeschraubt - und liegt trotz Pandemie weiterhin nur bei gut sechs Prozent. Zum Vergleich: Das wirtschaftlich um einiges stärkere Nachbarland Spanien hat mehr als 13 Prozent.
Europas Sozialdemokraten wollen lernen
Costa schaffte dabei den Spagat, soziale Verantwortung zu zeigen und gleichzeitig die einst maroden Staatsfinanzen zu konsolidieren. Den monatlichen Mindestlohn erhöhte der gelernte Jurist etwa von 505 auf zuletzt 705 Euro. Sozialdemokratische Delegationen aus ganz Europa pilgerten nach Lissabon, um das Rezept für den Erfolg zu kopieren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete Costa jüngst als „einen unermüdlichen Verfechter der sozialen Gerechtigkeit“.
Doch Costa darf sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Er steht vor großen Herausforderungen: Die linken und rechten Rivalen der PS hatten im Wahlkampf zu Recht unter anderem die hohe Steuerlast, die niedrigen Renten von oft unter 300 Euro, die zum Teil wirklich miserablen Gehälter und den sich zuspitzenden Wohnungsmangel an den Pranger gestellt. Junge und auch nicht mehr ganz junge Menschen wandern wegen dieser Probleme weiterhin in Massen aus. Im Wahlkampf versprach er eine weitere Erhöhung von Löhnen und Gehältern.
Costa braucht schnelle Erfolge, auch um den Rechtspopulisten von Chega (Es reicht) Wind aus den Segeln zu nehmen. Neben der PS war die Partei von Spitzenkandidat André Ventura nämlich der zweite große Sieger der Abstimmung vom Sonntag. Sie verbesserte sich im Vergleich zu 2019 von 1,29 auf 7,15 Prozent und erhöhte die Zahl ihrer Mandate von einem auf mindestens zwölf.
© dpa-infocom, dpa:220131-99-910969/8