Berlin (dpa)
Bundesregierung gegen „verfrühte“ Corona-Lockerungen
Die Rufe nach Öffnungsperspektiven werden lauter, auch aus den Ländern. Die Bundesregierung findet Lockerungen aber „noch ein bisschen verfrüht“.
Die Bundesregierung sieht im Moment noch keinen Anlass für Lockerungen der Corona-Maßnahmen.
„In dem Moment, wo wir das Gefühl haben, verantwortlich lockern zu können, wird diese Bundesregierung, werden alle Landesregierungen genau diesen Schritt gehen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Im Augenblick sei es aber „noch ein bisschen verfrüht“, schon diesen Schritt zu machen. Man sei noch in der Phase, in der es bergauf gehe mit den Zahlen, jeden Tag gebe es neue Rekordwerte. Der Höhepunkt der Welle sei noch nicht erreicht. „Und insofern würde ich im Augenblick davor warnen, zu frühzeitig zu glauben, es ist schon vorbei“, sagte Hebestreit.
Auch der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warnt vor zu schnellen Lockerungen. „Es gibt keinen Anlass dafür, dass es kurzfristig Öffnungsmaßnahmen gibt“, sagte der Bundestagsabgeordnete. „Wir sind noch nicht über den Berg.“ Die Hospitalisierungsrate steige inzwischen wieder an, es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Falls sich die Lage verschlechtere, müsse eher über eine Ausweitung bestehender Schutzmaßnahmen wie 2G-Plus-Regeln nachgedacht werden.
Demonstrationen gegen Corona-Auflagen
Gegen diese aktuellen Corona-Maßnahmen sind am Montagabend in zahlreichen Städten erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Unter anderem demonstrierten in Rostock Hunderte Menschen trotz eines Verbots aller Demonstrationen. Auch in Pforzheim versammelten sich nach Polizeiangaben rund 5000 Kritiker der Corona-Politik, der Protest blieb friedlich. Unweit davon bildeten rund 500 Menschen eine Menschenkette als Zeichen für den Zusammenhalt während der Pandemie. In Lübeck beteiligten sich nach Polizeiangaben rund 1300 Menschen an einer friedlichen Demonstration gegen Corona-Beschränkungen und eine mögliche allgemeine Impfpflicht. Auch in Brandenburg gab es Demonstrationen.
Das Bundesverfassungsgericht lehnte es unterdessen ab, ein kommunales Verbot unangemeldeter Corona-„Spaziergänge“ mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen. Die Karlsruher Richterinnen und Richter wiesen am Montag den Eilantrag eines Mannes ab, der die Allgemeinverfügung der Stadt Freiburg zu Fall bringen wollte.
Lockern oder nicht?
Am 16. Februar sind auch die nächsten Corona-Krisenberatungen von Scholz und den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder geplant. Nach Ansicht von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sollte dort besprochen werden, „unter welchen Bedingungen, mit welchen Zwischenschritten“ das Land wie wieder hochgefahren werden könne. Lindner begründete das am Montag im Fernsehsender „Welt“ damit, dass Branchen wie der Kultur- und Veranstaltungsbereich eine Vorlaufzeit bräuchten, bevor sie ihr Geschäft wieder aufnehmen könnten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich zuvor im ARD-„Bericht aus Berlin“ ebenfalls dafür ausgesprochen, bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz zu warten, aber schon für die Zeit danach zu planen. Söder nannte mehr Zuschauer bei Sport- und Kulturveranstaltungen und „mehr Möglichkeiten“ im Bereich von Gastronomie oder Messen.
„Wir müssen noch ein bisschen Geduld haben“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz in Berlin. „Für Lockerungen ist es aus meiner Sicht heute am Tag zu früh. Aber das kann in zwei bis drei Wochen schon anders sein.“Der neue CDU-Chef Friedrich Merz ruft die Bevölkerung zu Geduld auf. „Für Lockerungen ist es aus meiner Sicht heute am Tag zu früh. Aber das kann in zwei bis drei Wochen schon anders sein“, sagte Merz. „Wir müssen noch ein bisschen Geduld haben.“ Nötig seien noch „ein wenig Einschränkungen auch in den persönlichen Kontakten“ und auch in den Großveranstaltungen.
Trotz weiter steigender Corona-Infektionszahlen wurden zuletzt die Rufe nach einem Konzept für eine Rücknahme von Beschränkungen lauter. Entsprechend äußerten sich unter anderem führende FDP- und CSU-Politiker. Sie begründeten dies mit den bislang weniger schweren Krankheitsverläufen in der Omikron-Welle.
Anspruch auf PCR-Test soll bestehen bleiben
PCR-Tests zum Nachweis einer Corona-Infektion sollen künftig vorrangig für Menschen aus dem Gesundheitswesen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig soll der Anspruch auf diese hochwertigen, genauen Tests aber für alle Menschen bestehen bleiben. Darüber informierte Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne nach einer Videoschalte mit ihren Länderkollegen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Gegebenenfalls müssten die Menschen wegen der Priorisierung damit rechnen, dass es etwas länger dauere, bis sie ihr PCR-Testergebnis erhielten, so Grimm-Benne. Die Priorisierung sei Aufgabe der Labore. Für Sachsen-Anhalt könne die Testkapazität beispielsweise von wöchentlich etwa 10.000 PCR-Tests auf 20.000 verdoppelt werden, sagte die SPD-Politikerin.
Auf eine Rückkehr zum Genesenstatus auf sechs Monate konnten sich die Gesundheitsminister am Montag nicht verständigen. Ein Antrag Bayerns, den Genesenenstatus von aktuell drei auf sechs Monate wieder zu verlängern, lehnten die Ressortchefs ab. Lauterbach hatte laut Grimm-Benne in der Schalte bekräftigt, dass die Verkürzung des Genesenenstatus auf Grundlage wissenschaftlicher Ergebnisse erfolgt sei.
Kliniken erwarten mehr Patienten
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte ist für eine Debatte über Lockerungen. Bei einer stabilen Lage unter anderem auf den Intensivstationen könne man sich einer Perspektivdebatte nicht verschließen, sagte der SPD-Politiker am Morgen im Deutschlandfunk. Diskussionspunkte könnten die 2G-Regelung im Einzelhandel und die Auslastung von Fußballstadien sein. Für den Einzelhandel hält Bremens Bürgermeister eine bundesweite konsequente Maskenpflicht statt der 2G-Regelung für denkbar. 2G besagt, dass nur geimpfte oder genesene Menschen entsprechende Innenräume betreten dürfen. „Und wir müssen zu einer möglichst einheitlichen Regelung kommen, was Großveranstaltungen angeht“, sagte Bovenschulte mit Verweis auf den Sport.
CSU-Chef Markus Söder sagte am Sonntagabend im „Bericht aus Berlin“ der ARD: „Wir müssen in dieser Omikron-Wand, die da auf uns zukommt, auch nach einer Tür suchen, durch die man durchgehen kann in eine neue Zeit. Also Vorsicht ja, aber eben auch mit Hoffnung.“ Wegen der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante stellen sich Kliniken auf zahlreiche neue Patienten ein.
Bund und Länder hatten sich vor einer Woche darauf verständigt, dass Öffnungsperspektiven entwickelt werden sollten für den Moment, an dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden könne.
Experten sehen Verfahren zu 3G kritisch
Experten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bewerten das neue Verfahren zur Festsetzung des Corona-Genesenenstatus kritisch. In einer „Ausarbeitung“ im Auftrag des AfD-Abgeordneten René Springer verweisen sie auf mögliche rechtliche Probleme. Die „Bild“-Zeitung hatte zuerst darüber berichtet.
Analysiert wird in dem Papier unter anderem, ob das Thema Genesenennachweis überhaupt auf einfachem Weg per Verordnung geregelt werden darf, weil bei Corona-Maßnahmen, die an den Genesenen- oder Impfstatus gekoppelt sind, Grundrechte berührt werden. Verwiesen wird auf die sogenannte Wesentlichkeitslehre - ein Begriff aus dem Verfassungsrecht -, wonach in „grundlegenden Bereichen“ ein förmliches Gesetz nötig sei.
„Die Regelung der Immunitätsnachweise mittels Rechtsverordnung ist hinsichtlich der Anforderungen der Wesentlichkeitslehre kritisch zu bewerten“, heißt es in der Expertise vom 28. Januar. Kritisiert wird außerdem, dass durch die Neuregelung „wesentliche Aspekte“ beim Thema Genesenennachweis dem Robert Koch-Institut (RKI) überlassen werden und dass als Informationsquelle für mögliche Änderungen des Genesenenstatus die Internetseite des RKI angegeben wird.
Experte: Subtyp könnte Welle verlängern
Eine wohl noch leichter übertragbare Untervariante von Omikron könnte aus Expertensicht außerdem zu einer Verlängerung der derzeitigen Infektionswelle führen. „BA.2 wird sich auch bei uns durchsetzen“, schrieb der Immunologe Carsten Watzl auf Twitter. Dies könnte die Omikron-Welle verlängern. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie bezog sich auf eine noch nicht von externen Fachleuten begutachtete Untersuchung aus Dänemark zu dem Omikron-Subtyp BA.2.
Das eigene Infektionsrisiko bei BA.2 ist der Studie zufolge mehr als doppelt so hoch wie bei Subtyp BA.1. Das gilt sowohl innerhalb der Gruppe der Ungeimpften, als auch bei Menschen mit Grundschutz und bei Geboosterten. Das Risiko der Weitergabe des Virus ist bei infizierten Ungeimpften ebenfalls stark erhöht, nicht jedoch bei Geimpften und Geboosterten, heißt es in der Studie. BA.1 ist bisher in Deutschland vorherrschend, BA.2 gibt es aber auch schon.
Impfungen hätten auch mit dem Aufkommen von BA.2 einen Effekt gegen Infektion, Weitergabe und schwere Erkrankung, wenn auch verringert im Vergleich zu früheren Varianten, schreiben die Forscher. Die höhere BA.2-Anfälligkeit und -Übertragbarkeit bei Ungeimpften werde wahrscheinlich zu einer noch weiteren Steigerung von Übertragungen bei ungeimpften Kindern etwa in Schulen und Kitas führen, halten sie fest.
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