Peking (dpa)
Chinas geplanter Wintersport-Boom
Durch die Olympischen Winterspiele will China nicht vorrangig der Welt ein geschöntes Bild von sich verkaufen. Vielmehr geht es der politischen Führung darum, einen Wirtschaftszweig zu erschließen.
Trainer Ivano Zanatta gibt seine Anweisung ausschließlich auf Englisch, die Protagonisten auf den Kufen heißen Jake Chelios, Jeremy Smith und Denis Ossipow.
Würde auf den knallroten Trikots nicht in gelben Buchstaben China prangen, käme man wohl nicht darauf, dass hier im National Indoor Stadium von Peking gerade das Eishockey-Team des Olympia-Gastgebers trainiert. „Wir sind seit drei Jahren hier und fühlen eine gewisse Nähe zu China. Man will für sie gewinnen“, sagt Verteidiger Chelios. Grundsätzlich habe er natürlich nie gedacht, mal im chinesischen Trikot bei Olympia zu spielen.
China investiert in den Wintersport
Unter den 25 Spielern sind 13 Kanadier, drei US-Amerikaner und ein Russe - es ist de facto die Clubmannschaft von Kulun Red Star aus der KHL. „Ich sehe das absolut als Vorteil, dass wir uns lange kennen“, sagt Chelios. Mit Siegen dürfte es für den deutschen Vorrundengegner dennoch nichts werden, dafür ist die Mannschaft schlicht zu schwach, was auch das Training am Mittwoch offenbarte. Die Legionärs-Truppe startet ohnehin nur für den Gastgeber, weil der Weltverband offen die Konkurrenzfähigkeit eines rein chinesischen Teams angezweifelt und Gedankenspielen eines Ausschlusses freien Lauf gelassen hatte.
Dabei passt die Mannschaft eigentlich nicht zu dem Projekt von Chinas Führung, einen ganzen Wirtschaftszweig sozusagen aus dem Boden zu stampfen. Die Winterspiele sollen nur der Auftakt eines Wintersportbooms sein, der dem Riesenreich neben sportlichen Folgen einen Wachstumsmarkt verschafft, dessen Potenzial allein im Inland auf gut 150 Milliarden Euro geschätzt wird.
Denn neben reinen Produkten geht es auch um Infrastruktur. Ende 2021 gab es in China 654 Eisflächen und 803 Skiresorts, ein Anstieg von 41 Prozent seit 2015. Nach Staatsangaben haben 346 Millionen Einwohner des Landes bereits einmal Wintersport getrieben.
Zahl der Wintertouristen in China steigt
Dienten die Sommerspiele 2008 noch dazu, der Welt ein starkes und offenes China zu verkaufen, geht es 14 Jahre später vorrangig um das nationale Interesse. Und damit die Wintersport-Flamme weiter lodert, sollen eigene Helden geformt werden. Deshalb setzt China nicht flächendeckend auf importierte Sportler, sondern zapft das Wissen von Trainern jenseits der Grenzen an. 51 ausländische Trainer wurden angeheuert, darunter der einstige Biathlon-Star Ole Einar Björndalen oder Deutschlands viermaliger Bob-Olympiasieger André Lange.
„Wenn alles gut läuft, wenn wir Medaillen holen können, wäre das großartig“, sagte Björndalen. Ein eher unrealistisches Szenario. Wer die Gesamtweltcup-Liste durchforstet, der findet Chu Yuanmeng als beste Frau auf Platz 60 und bei den Männern auf Rang 64 Cheng Fangming.
Damit sich das ändert, schickte China seine Sportler nicht nur scharenweise zum Lernen nach Europa. Man schuf im Land erstklassige Strukturen ohne Rücksicht auf die Kosten. Die olympischen Wettkampfstätten sind allein schon imposant. Den Skispringern steht zum Training in Laiyuan neben zwei Schanzen der größte Windkanal der Welt zur Verfügung. „China ist einer der wichtigsten globalen Märkte mit großartigem Wachstumspotenzial“, sagte Johan Eliasch, Präsident des Ski-Weltverbandes FIS.
Natürlich wird auch ans gemeine Volk gedacht. Mittlerweile gibt es 36 Skihallen im Land, oft sind diese an Shoppingmalls angegliedert. Nach dem Hosenkauf geht's gern nochmal zum Wedeln auf den Mini-Hang. Die Zahl der Wintertouristen stieg binnen fünf Jahren von 170 (2016) auf 254 Millionen (2021). Laut Eliasch könnte China den Wintersport auf das „nächste Level“ heben.
Bei den am Freitag beginnenden Spielen wird sich der geplante Boom noch nicht auswirken. Realistische Medaillenchancen hat China auf den Ovalen im Eisschnelllauf und Shorttrack sowie erstmals im Ski-Freestyle. Dort startet die gebürtige Amerikanerin Eileen Gu in allen drei Disziplinen. Mit ihren erst 18 Jahren könnte Gu als Zugpferd für die junge Generation dienen. Oberstes Ziel dürfte allerdings sein, die mäßige Bilanz der Spiele von Pyeongchang zu verbessern. Vor vier Jahren landete man mit nur neunmal Edelmetall auf Platz 16 des Medaillenspiegels.
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