Rom/München (dpa)

Kritik an Benedikt-Brief - Gänswein sieht Kampagne: „Dreck“

Manuel Schwarz, dpa
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Von Manuel Schwarz, dpa
| 09.02.2022 05:15 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Die Erklärung zum Münchner Missbrauchsgutachten durch den emeritierten Papst Benedikt XVI. hat gespaltene Reaktionen hervorgerufen. (Archivbild). Foto: Sven Hoppe/dpa-Pool/dpa
Die Erklärung zum Münchner Missbrauchsgutachten durch den emeritierten Papst Benedikt XVI. hat gespaltene Reaktionen hervorgerufen. (Archivbild). Foto: Sven Hoppe/dpa-Pool/dpa
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Auch nach der mit Spannung erwarteten Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt reißt die Kritik an ihm nicht ab. Sogar aus den Reihen der deutschen Bischöfe gibt es Skepsis.

Deutsche Katholiken und sogar Bischöfe sind vom „Mea Culpa“ von Benedikt XVI. in der Missbrauchsdebatte enttäuscht.

Privatsekretär Georg Gänswein kämpft derweil um den Ruf und das Erbe des emeritierten Papstes: Auch nach dem neuen Brief des Pontifex gehen die Diskussionen um eine Bewertung von Benedikt weiter.

„Ich befürchte, dass die Erklärung den Betroffenen in ihrem Aufarbeitungsprozess wenig weiterhelfen kann“, sagte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck der katholischen Zeitung „Neues Ruhrwort“. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken wertete die Ausführung des 94-Jährigen vom Dienstag als zu vage und allgemein. „Die Empathie gegenüber den Betroffenen fehlt“, sagte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Die Wegbegleiter und Berater des emeritierten Papstes sind indes bemüht, das Auftreten des Heiligen Vaters einzuordnen, allen voran Erzbischof Gänswein. Dieser hat nach dem Münchner Missbrauchsbericht eine Kampagne gegen Benedikt ausgemacht. „Es gibt eine Strömung, die die Person und das Werk zerstören will“, beklagte der Erzbischof in einem Interview der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“.

Gelegenheit der Abrechnung?

Für die Kritiker Benedikts und dessen Wirken sei nun „die ideale Gelegenheit, abzurechnen“ und das Andenken des Papstes zu verfluchen („damnatio memoriae“), behauptete der 65-Jährige. „Leider lassen sich viele von diesem feigen Angriff täuschen, es gibt hier viel Dreck.“

In dem Gutachten um jahrzehntelangen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird Benedikt aus seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising (1977-1982) Fehlverhalten vorgeworfen. Für Empörung sorgte, dass er in seiner Stellungnahme für das Gutachten abstritt, an einer brisanten Sitzung 1980 teilgenommen zu haben.

Erst danach hieß es, dass die falschen Angaben ein Malheur seiner Mitarbeiter gewesen sei. „Ja, eine kleine Gruppe von qualifizierten Leuten hatte Benedikt geholfen, dann gab es diesen Fehler und leider ist der niemandem aufgefallen“, sagte Gänswein. „Es bleibt der Fakt, dass ein Fehler und eine Lüge zwei unterschiedliche Dinge sind.“

Benedikt hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Brief bereits den Fehler bedauert und sich gegen den Vorwurf der Lüge gewehrt. Zugleich bat er die Opfer, die an seinen Einsatzorten sexuellen Missbrauch durch Geistliche erlebt hatten, um Entschuldigung.

Betroffene enttäuscht und teils entrüstet

Weil die Bitte um Verzeihung sehr generell gehalten war, reißt die Kritik nicht ab. „Besorgt nehme ich wahr, dass Betroffene sexueller Gewalt in ihren Rückmeldungen an unseren Interventionsbeauftragten enttäuscht und teilweise auch entrüstet auf die Äußerungen des früheren Papstes zu seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising reagiert haben“, berichtete Bischof Overbeck.

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, weist konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich entschieden zurück. Sein Anwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Verfasser des Münchner Gutachtens.

Overbeck ist einer der wenigen deutschen Bischöfe, die sich bislang zu dem Papst-Brief positioniert haben. „Papst emeritus Benedikt hatte zugesagt, sich zu äußern. Nun hat er das eingelöst“, twitterte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, knapp. „Dafür bin ich dankbar und dafür gebührt ihm Respekt.“

Auch Ratzingers Nachfolger in München, Kardinal Reinhard Marx, äußerte sich nur kurz. Er begrüßte zwar den Brief Benedikts, stellte sich aber auch ausdrücklich hinter die von ihm beauftragten und von Benedikts Beratern kritisierten Gutachter: „Ich betone nochmals, dass die Erzdiözese und ich als Erzbischof das Gutachten, in dem es besonders im Blick auf die Leitungsebene auch um persönliche und institutionelle Verantwortung geht, sehr ernst nehmen.“

Ringen um Würdigungskultur

Weitere Bischöfe aus Benedikts bayerischer Heimat wollten sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur zunächst nicht zum Brief des Ex-Papstes äußern. Mehrere Kommunen in Bayern, in denen der emeritierte Papst die Ehrenbürgerschaft hat, ringen aber nun um den Umgang mit der Würdigungskultur. Man werde sich intensiv mit dem Gutachten und den Aussagen des früheren Erzbischofs von München und Freising auseinandersetzen, hieß es im Landkreis Traunstein und in Freising.

Die neue Äußerung Benedikts ändere die ungewöhnlich schwer zu beurteilende Situation nicht, sagte eine Sprecherin der Stadt Freising, wo Ratzinger studiert und kurzzeitig gelehrt hatte. Man werde sich Zeit nehmen, um die komplexe Thematik erfassen, bewerten und diskutieren zu können.

Im Landkreis Traunstein soll eine Kommission eingesetzt werden, um Vorwürfe und Verantwortlichkeiten einzuordnen, erklärte das Landratsamt - es residiert am Papst-Benedikt-XVI-Platz. In Traunstein, Tittmoning und Surberg ist Benedikt Ehrenbürger. Er lebte zeitweise in Tittmoning und verbrachte Teile seiner Jugend in Traunstein.

© dpa-infocom, dpa:220209-99-38305/5

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