Kiew (dpa)
Geld statt Waffen: Scholz sagt Ukraine Millionen zu
Das deutsche Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine steht. Bei seinem Antrittsbesuch in Kiew liefert Kanzler Olaf Scholz aber einen anderen Solidaritätsbeweis.
Mit Finanzzusagen in dreistelliger Millionenhöhe hat Bundeskanzler Olaf Scholz Solidarität mit der Ukraine in dem sich zuspitzenden Konflikt mit Russland demonstriert.
Bei seinem Antrittsbesuch in Kiew sagte der SPD-Politiker dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Montag die beschleunigte Auszahlung von 150 Millionen Euro aus einem bereits gewährten Kredit sowie einen neuen Kredit über 150 Millionen Euro zu. „Deutschland steht ganz eng an Ihrer Seite“, sagte er an die Adresse der Ukrainer.
Beim deutschen Nein zu Waffenlieferungen bleibt es aber. Allerdings wird geprüft, ob die Bundeswehr sonstige militärische Ausrüstung wie Nachtsichtgeräte, Minenräumgeräte oder Ortungsapparate an die Ukraine liefern kann
Am Dienstag wird Scholz den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau treffen. Er forderte von Moskau erneut „eindeutige Schritte“ zur Deeskalation und drohte mit „schwerwiegenden Folgen“ für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine. Er verzichtete aber erneut darauf, einen Stopp der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als mögliche Strafmaßnahme zu benennen.
Nato-Erweiterung nicht auf der Tagesordnung
Der Kanzler machte allerdings einen Schritt auf Moskau zu, indem er deutlich machte, dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato aktuell nicht auf der Tagesordnung stehe. „Die Frage von Mitgliedschaften in Bündnissen steht ja praktisch gar nicht an“, sagte er. Es sei „schon etwas eigenwillig zu beobachten, dass die russische Regierung etwas, das praktisch nicht auf der Tagesordnung steht, zum Gegenstand großer politischer Problematiken macht“.
Dass die Nato eine Erweiterung des Bündnisgebiets nach Osten rechtsverbindlich ausschließt, zählt zu den Kernforderungen Russlands. Die Nato lehnt das ab, weil sie am Prinzip der freien Bündniswahl festhalten will. Selenskyj bekräftigte den Nato-Kurs seines Landes. „Leider hängt nicht alles von uns ab“, sagte er aber auch. Das Beitrittsziel sei in der Verfassung verankert. „Wann wir dort sein werden, weiß niemand, nicht einmal einige Nato-Mitglieder“, gab er bedauernd zu verstehen.
Scholz: „Es sind sehr ernste Zeiten“
Rein formal war die kurze Visite des Kanzlers in Kiew sein Antrittsbesuch gut zwei Monate nach seiner Vereidigung. Die wenigen Stunden in der ukrainischen Hauptstadt standen aber ganz im Zeichen der zunehmenden Spannungen mit Russland und der jüngsten Kriegswarnungen aus den USA. „Es sind sehr ernste Zeiten, in denen ich die Ukraine besuche“, sagte Scholz.
In den vergangenen Tagen hat sich die Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine drastisch verschärft. Am Freitag warnte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, offen vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor Ende dieser Woche. Russland spricht dagegen von „provokativen Spekulationen“ und „Hysterie“.
Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, sagte nach einer Beratung von Parlamentsführung, Vertretern der Sicherheitsorgane und Regierungsmitgliedern, sein Land habe keine Erkenntnisse über einen bevorstehenden Einmarsch in den nächsten Tagen. „Nach allen Daten unserer Aufklärung und der Partnerländer ist für Russland eine Destabilisierung im Inneren der Ukraine die Aufgabe Nummer eins“, sagte der 59-Jährige.
Selenskyj kritisierte in dem Zusammenhang das Verlegen von Botschaftspersonal. „Es ist ein großer Fehler, dass einige Botschaften in die Westukraine umziehen, denn es gibt keine Westukraine, es gibt die Ukraine.“ Einige westliche Länder hatten wegen der US-Warnungen einen Teil ihres Personals aus Kiew abgezogen und in die Stadt Lwiw (Lemberg) etwa 60 Kilometer von der Grenze zu Polen verlegt. Dazu sagte Selenskyj: „Wenn, möge Gott es verhüten, etwas passiert, dann wird es überall sein.“
Zahlreiche westliche Staaten fordern zudem ihre Staatsbürger zum Verlassen der Ukraine auf - auch Deutschland. Gleichzeitig kommen die intensiven diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation nicht vom Fleck. In Scholz' Umfeld wird die Lage als „extrem gefährlich“ eingeschätzt.
Am Flughafen wurde der Kanzler von Soldaten der ukrainischen Armee empfangen, die für ihn Spalier standen. Auf seinem Programm standen auch Besuche am Grab des unbekannten Soldaten und am Denkmal für die „Himmlische Hundertschaft“ der Opfer der Revolution von 2014. Das Gespräch mit Selenskyj dauerte mit mehr als zwei Stunden deutlich länger als vorgesehen.
Rüstungshilfe möglich - aber keine tödlichen Waffen
Scholz blieb bei der deutschen Linie, der Ukraine in großem Stil wirtschaftlich zu helfen, aber kaum militärisch. Seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 sind bereits fast zwei Milliarden Euro aus Deutschland in das Land geflossen. Rüstungshilfe gab es dagegen nur in sehr geringem Umfang, Waffen wurden gar nicht mehr geliefert. Zuletzt sagte die Bundesregierung 5000 Schutzhelme zu.
Die Ukraine wünscht sich von Deutschland aber auch Waffen, um sich im Ernstfall gegen Russland verteidigen zu können. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk verlangte am Vorabend des Scholz-Besuchs 12 000 Panzerabwehrraketen. Auf einer Liste der ukrainischen Botschaft vom 3. Februar stehen aber auch eine Reihe Rüstungsgüter, die eindeutig keine tödlichen Waffen sind. Dazu gehören elektronische Ortungssysteme, Minenräumgeräte, Schutzanzüge, digitale Funkgeräte, Radarstationen oder Nachtsichtgeräte. Panzerabwehrraketen stehen auf dieser Wunschliste nicht.
Nord Stream 2
Deutliche Differenzen zwischen Selenskyj und Scholz gibt es mit Blick auf Nord Stream 2. Während Scholz den Namen der Pipeline seit Mitte Dezember nicht mehr öffentlich in den Mund genommen hat, sprach der ukrainische Präsident das Projekt auf der gemeinsamen Pressekonferenz offen an. „Wir begreifen klar, dass dies eine geopolitische Waffe ist. Eben deswegen fordert die Ukraine Energie- und Sicherheitsgarantien“, sagte er. Selenskyj forderte Scholz auf, den russischen Gastransit durch die Ukraine zu garantieren, der dem Land Milliardeneinnahmen bringt.
Scholz hat die Pipeline nur verdeckt als mögliche Sanktion für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine auf den Tisch gelegt. Selbst bei seinem Antrittsbesuch in den USA blieb er dabei, obwohl US-Präsident Joe Biden in seiner Anwesenheit auf einer gemeinsamen Pressekonferenz sehr deutlich wurde: Bei einer russischen Invasion der Ukraine werde es „kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen“, sagte Biden.
Nach seinem Besuch in Kiew wollte Scholz am Montagabend für ein paar Stunden nach Berlin zurückkehren. Am frühen Dienstagmorgen geht es dann nach Moskau, wo Putin ihn im Kreml empfängt. Scholz will dort bei seiner Doppelstrategie bleiben: Einerseits die Drohung mit harten Konsequenzen für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine, andererseits Gesprächsbereitschaft, um eine Deeskalation zu erreichen.
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