Peking (dpa)
Gute DOSB-Bilanz verdeckt Schwachstellen nicht
Die deutsche Bilanz der Olympischen Winterspiele in Peking fällt aus Sicht des Dachverbandes gut aus. Doch eine Entwicklung bereitet auch Sorgen.
Mit Schampus stieß Innenministerin Nancy Faeser beim Olympia-Empfang in Frankfurt auf das „großartige Ergebnis“ bei den Winterspielen in Peking an.
„Herzlichen Glückwunsch zu dieser Wahnsinnsleistung. Die Bundesregierung ist sehr stolz auf Team D“, rief die SPD-Politikerin einem Teil der Mannschaft um Biathlon-Olympiasiegerin Denise Herrmann in einer Lounge auf dem Frankfurter Flughafen zu.
Der Blick auf den Medaillenspiegel der Peking-Spiele mit 27 Edelplaketten (12 Gold/10 Silber/5 Bronze) und Platz zwei hinter Norwegen (37) und vor Gastgeber China (15) stimmte auch den Deutschen Olympischen Sportbund zufrieden, verdeckte aber einen Makel nicht: Nur zwei Fachverbände lieferten die Medaillen. „Wir haben sehr gut abgeschnitten und sind in der Weltspitze dabei. In einigen Sportarten haben wir aber den Anschluss an die Weltspitze verloren“, resümierte DOSB-Präsident Thomas Weikert.
Medaillenregen im Eiskanal
Die Wahl von Bob-Anschieber Thorsten Margis zum Fahnenträger der olympischen Schlussfeier hatte daher auch Symbolkraft für den deutschen Spitzensport: Es bedarf eines kräftigen Schubs, um ihn für zukünftige Sommer- wie Winterspiele umfassender fit zu machen. „Sicherlich sind wir weniger breit aufgestellt als vor vier Jahren, als sich fünf Verbände an der Medaillenbilanz beteiligen konnten“, bilanzierte Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig. 31 Medaillen brachten die deutschen Olympioniken 2018 aus Pyeongchang mit, 2014 in Sotschi waren es nur 19.
Größten Anteil am deutschen Erfolg hatten in diesem Jahr die Rodler, Skeletonpiloten und Bobfahrer, die im Eiskanal von Yanqing 16 Mal auf dem Siegerpodest standen - neunmal auf Platz eins. Zum Abschluss feierte Francesco Friedrich im Viererbob sein zweites Olympia-Gold nach dem Sieg im Zweier. Silber gewann Johannes Lochner. „Diese Dominanz haben wir von den Athleten des Deutschen Bob- und Schlittenverbandes nicht erwartet“, sagte Schimmelpfennig.
Die anderen elf Medaillen sind den Athleten des Deutschen Skiverbandes zu verdanken. Stunden vor dem Spiele-Ende konnten die alpinen Skiläufer am Sonntag mit Team-Silber noch einen Abschied ohne Edelmetall wie 2018 verhindern. DSV-Sportdirektor Wolfgang Maier war darüber „extrem happy“.
Weniger glücklich und eher besorgt ist der DOSB über das Leistungsgefälle zwischen den Verbänden und ihren Sportarten. Zumal die Spitzensportreform in Peking erstmals mehr Ertrag bringen sollte. Stattdessen zeigte sich, dass eine zu große Zahl von Sportarten nicht mehr zur Weltspitze zählt: Dazu gehören Eisschnell- und Eiskunstlauf, Curling und Shorttrack. Enttäuschend war zudem das frühe Aus der Eishockey-Herren (10. Rang). Das Frauenteam qualifizierte sich erst gar nicht.
„Der Wurm ist nicht drin, aber wir sollten kritisch in das Konzept schauen und es fortschreiben“, sagte Schimmelpfennig zu der 2015 gestarteten umstrittenen Reform. Der DOSB-Sportchef fordert zudem eine Grundsatzdebatte darüber, welchen Leistungssport man generell in Zukunft in Deutschland haben wolle: „Ob wir die Vielfalt weiter fördern oder gezielter einzelne Sportarten fördern wollen.“ Eine Konzentration auf starke Sportarten birgt aber auch eine Gefahr, wenn Medaillenlieferanten komplett ausfallen wie die Bobfahrer 2014.
Tokio als mahnendes Beispiel
Ohne die Kufen-Asse im Eiskanal und die Athleten in der Loipe, am Schießstand und auf der Schanze wären die Sorgen nach Peking größer. Wie schnell es bergab gehen kann, erlebte Deutschland bei den Sommerspielen 2021 in Tokio, als mit 37 Medaillen und Rang neun die schlechteste Erfolgsbilanz seit der Wiedervereinigung zu Buche stand.
Deshalb gilt es, Sportarten wie den Eisschnelllauf auf Erfolgskurs zu bringen. Immerhin werden auf dem Eisoval 69 olympische Medaillen vergeben. „Daher ist es wichtig, sich das strategische und inhaltliche Programm des Verbandes anzuschauen“, sagte Schimmelpfennig. Für ihn ist das kein Projekt bis zu den nächsten Winterspielen 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo, sondern eher eines, das 2030 fruchten könnte. „Wir werden das in Ruhe analysieren und schauen, was verändert werden muss“, kündigte Weikert an.
Was beharrliche Entwicklungsarbeit bewirken kann, bewiesen die Freestyler. Im Skicross gewann Daniela Maier unverhofft die erste (bronzene) Olympia-Medaille in diesem hippen Sportartensegment. Auch die Aufbauarbeit im Skeleton zahlt sich immer mehr aus: Hannah Neise und Christopher Grotheer gewannen jeweils Gold. Zu den Überraschungen zählten auch die Olympiasiege von Biathletin Herrmann, des Nordischen Kombinierers Vinzenz Geiger und im Teamsprint der Langläuferinnen durch Katharina Hennig und Victoria Carl. „Das war mein emotionalster Moment bei Olympia“, berichtete Weikert.
DOSB-Präsident Weikert: „Funktionale Spiele“
Zur Bilanz der perfekt organisierten Spiele in China, das wegen Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Uiguren und Tibetern in der Kritik steht, gehört ebenso eine sportpolitische Einordnung. „Das waren funktionale Spiele, das Flair und die Zuschauer haben gefehlt“, betonte der DOSB-Präsident auch bezogen auf die Corona-Beschränkungen im abgeriegelten Olympia-Sperrgebiet. „Das möchten wir nicht mehr haben.“
Deshalb freut es ihn, dass nicht nur die Winterspiele 2026 in die italienischen Alpen und damit nach Europa zurückkehren. „Die Zukunft der Olympischen Spiele sieht hoffnungsfroh aus, weil die nächsten Spiele in demokratische Länder vergeben sind“, sagte Weikert. Nämlich für den Sommer nach Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Diese Reihe der Olympia-Städte würde der DOSB gerne mit einer Bewerbung ergänzen. „Es ist sicher realistisch, sich zu bewerben, aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen“, sagte Weikert.
© dpa-infocom, dpa:220220-99-213921/3