Medyka-Schehyni (dpa)
Flucht aus Ukraine: „Vielleicht helfen uns gute Menschen“
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kommen immer mehr Flüchtlinge über die Grenze nach in die Nachbarländer. Viele von ihnen sind Frauen mit Kindern. Die Männer bleiben zurück.
Die letzten 15 Kilometer bis ins rettende Polen ging Halina Drohantschuk mit ihren drei Kindern zu Fuß. Jetzt steht sie auf einem wuseligen Parkplatz auf der polnischen Seite des Grenzübergangs Medyka-Schehyni. Das jüngste Kind, die dreijährige Sofia, sitzt in einem Buggy.
Die beiden Söhne Bogdan (12) und Viktor (11) haben ihre Schulrucksäcke und Turnbeutel geschultert. „Vielleicht helfen uns gute Menschen“, sagt Halina. Am Vorabend ist die 37-Jährige in der westukrainischen Stadt Lwiw aufgebrochen, auf der Flucht vor der russischen Invasion in die Ukraine. Ihr Mann Iwan, der sie ein Stück mit dem Auto gebracht hatte, musste zurückbleiben. „Sie lassen ihn nicht raus, er ist im wehrfähigen Alter.“
Medyka-Schehyni ist einer von zwei Grenzübergängen in der Nähe der ostpolnischen Kleinstadt Przemysl. Zu Fuß und mit dem Auto kommen viele Flüchtlinge hier an, auf der ukrainischen Seite der Grenze haben sich lange Staus gebildet.
UN: Bis zu fünf Millionen Flüchtende
So wie Halina sind nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit Hundertausende Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht. Innerhalb von 48 Stunden hätten allein mehr als 50.000 Menschen die Grenzen ins Ausland überquert, berichtet UNHCR-Chef Filippo Grandi am Freitag auf Twitter. Auf bis zu fünf Millionen Flüchtende aus der Ukraine stellen sich die Vereinten Nationen ein, sollte sich die Situation weiter verschlechtern. Schon jetzt seien Tausende über die Grenzen in Nachbarländer wie Polen, Moldau, die Slowakei und auch Russland geströmt, heißt es vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef verstärkt deshalb seine Präsenz in den Nachbarländern Moldau, Rumänen und Polen sowie in Ungarn und Slowenien. Entlang von Fluchtrouten sollen Zufluchtsorte für Frauen und Kinder eingerichtet werden. In Rumänien stünden Konvois bereit, um Material für Zehntausende Menschen in die Ukraine zu bringen, so ein Experte. Die Innenminister der 27 EU-Staaten wollen am Wochenende zu einem Krisentreffen zusammenkommen.
Noch ist die Lage in Medyka-Schehyni unter Kontrolle. Polen hat sich schon seit längerem auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem östlichen Nachbarland vorbereitet. In sozialen Medien informiert die Regierung in Warschau, dass jeder aufgenommen wird, der vor einem bewaffneten Konflikt in der Ukraine flieht. „Wenn du keinen organisierten Aufenthaltsort in der Ukraine hast, begib dich an einen Erstaufnahmepunkt“, heißt es dort. Der Aufnahmepunkt helfe mit warmem Essen, medizinischer Versorgung und der Organisation einer Notunterkunft.
Flucht in angrenzende Länder
Auch Rumänien und die Slowakei sind als Nachbarländer das Ziel vieler Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Slowakei meldete hat am ersten Tag nach dem russischen Angriff mehr als fünfmal so viele Grenzübertritte aus dem Nachbarland wie normalerweise. Von Mittwochnachmittag bis Donnerstagnachmittag sind laut dem Innenministerium 7490 ukrainische Staatsbürger über die Grenze gekommen.
Nach Rumänien seien binnen 24 Stunden mehr als 10.000 Menschen aus der Ukraine eingereist, mehr als doppelt so viele wie unmittelbar vor der russischen Invasion, sagte Rumäniens Innenminister Lucian Bode. Ein Drittel davon sei bereits weitergereist, unter anderem nach Bulgarien und nach Ungarn.
In Ungarn seien bereits 1600 Flüchtlinge eingetroffen, sagte der Bürgermeister der ungarischen Grenzstadt Zahony, Laszlo Helmeczi. Den Großteil der Menschen holten in Ungarn lebende Verwandte und Freunde an den Grenzübergängen ab, um sie ins Landesinnere zu bringen, fügte er hinzu. Die Stadtverwaltung musste Unterkünfte für lediglich 80 Menschen bereitstellen.
Männer bleiben zurück
Es sind viele alleinreisende Frauen mit Kindern an der polnisch-ukrainischen Grenze zu sehen, die ihre Männer wegen der Generalmobilmachung in der Ukraine zurücklassen mussten. Sie schieben Kinderwagen und Buggys, schleppen Rucksäcke, wuchten Rollkoffer in die Gepäckabteile der Kleinbusse.
Manche können auf private Hilfsangebote von Polen zählen. So wie Halina Tsykwas-Galina, die mit ihren drei Kindern Oleg, Juri und Maksim nach Wroclaw (Breslau) weiterreisen will. „Vor 20 Jahren habe ich dort für eine polnische Familie geputzt. Die haben eine Wohnung für uns, wollen mir Arbeit besorgen“, erzählt die Managerin einer Gebrauchstextilien-Kette aus Lwiw.
Während immer mehr Frauen und Kinder aus der Ukraine über den Grenzübergang nach Polen strömen, sind einige durchtrainierte Männer in die andere Richtung unterwegs. Wladimir (41) und sein Kollege Alexander (25) marschieren mit strammem Schritt, sie tragen neue Outdoor-Bekleidung, Stiefel und Militärrucksäcke. Ihre Holzfäller-Jobs in Estland haben sie hingeworfen, erzählen die beiden Männer aus Tschernihiw im Norden der Ukraine. Wladimir zeigt seine Erkennungsmarke. „Ich war Unteroffizier, habe im Donbass gekämpft.“ Jetzt will er wieder an die Front. „Wir müssen uns das zurückholen, was uns gehört.“
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