München (dpa)
„Todespfleger“ in München? - Mordermittlungen ausgeweitet
Im Herbst 2020 macht eine Festnahme in München Schlagzeilen: Ein Pfleger soll im Krankenhaus versucht haben, drei Patienten umzubringen. Jetzt zeigt sich: Es könnte alles noch viel schlimmer gewesen sein.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Mordermittlungen gegen einen Krankenpfleger aus einer Münchner Klinik deutlich ausgeweitet.
Inzwischen gehen die Ermittler von „zahlreichen Fällen im unteren zweistelligen Bereich“ aus, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I, Anne Leiding, der Deutschen Presse-Agentur sagte. Ob es sich dabei um versuchte oder vollendete Tötungsdelikte handelte, sagte sie nicht.
Vor rund einem Jahr noch hatte die Staatsanwaltschaft den jungen Mann zwei vollendeter und drei versuchter Tötungsdelikte beschuldigt. „Aufgrund der umfangreichen Ermittlungen ist noch nicht absehbar, wann Anklage erhoben wird“, sagte Leiding.
Der Fall hatte im November 2020 erstmals Schlagzeilen gemacht. Damals teilten die Behörden mit, dass sie in drei Fällen wegen des Verdachts auf versuchten Mord ermitteln. Die Staatsanwaltschaft warf dem bei seiner Festnahme 24-Jährigen vor, drei Patienten im Alter von damals 54, 90 und 91 Jahren aus reiner Geltungssucht mit Medikamenten in Lebensgefahr gebracht zu haben, um dann bei ihrer Rettung zu glänzen.
Das legen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Chatprotokolle nahe. „Deswegen das Leben eines Menschen zu riskieren, um dann nachher als weißer Ritter dazustehen, das stufen wir natürlich als niedrige Beweggründe ein“, sagte die Sprecherin nach der Festnahme.
Pfleger bestreitet Vorwürfe
Ein aufmerksamer Oberarzt am Klinikum rechts der Isar war stutzig geworden, weil sich der Zustand von zwei Patienten plötzlich und unerklärlich verschlechtert hatte. Interne Ermittlungen ergaben Hinweise auf einen ähnlichen Fall, bei dem auch der Beschuldigte Dienst hatte. Der Verdacht: Der Pfleger spritzte den Patienten eine Überdosis eines Medikaments, das ihnen nicht verabreicht werden sollte. Spuren dieser nicht verordneten Medikamente wurden im Blut der Patienten gefunden. Die Klinik zeigte den Pfleger an, er bestritt die Vorwürfe bei seiner Festnahme. Ob er sich inzwischen zu den Vorwürfen geäußert hat, teilte die Staatsanwaltschaft nicht mit.
Der ausgebildete Altenpfleger aus Nordrhein-Westfalen war seit Juli 2020 über eine Zeitarbeitsfirma in die Klinik gekommen und dort vor allem auf der sogenannten Wachstation im Einsatz, einer Zwischenstation zwischen Intensiv- und normaler Station, auf der Kranke rund um die Uhr betreut wurden. Die Ermittlungsgruppe der Polizei, die sich mit dem Fall befasst, trägt darum den Namen „Wachstation“.
Ähnlicher Fall in Oldenburg
Im Klinikum rechts der Isar, dem mutmaßlichen Tatort, wollte sich aktuell niemand zu dem Fall äußern. „Nach Absprache mit den Ermittlungsbehörden informieren ausschließlich diese über den Fall. Wir kooperieren aufs Engste mit den Behörden“m, sagte eine Sprecherin. Auch zu der Frage, ob Sicherheitsvorkehrungen in der Klinik verschärft wurden, wollte die Sprecherin sich nicht äußern.
Der Fall erinnert an den als „Todespfleger“ bekannt gewordenen Patientenmörder Niels Högel, den das Landgericht Oldenburg 2019 wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt hatte. Er war in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst als Krankenpfleger in der Intensivmedizin tätig und tötete dort nach Feststellung des Landgerichts insgesamt 85 Patienten, indem er ihnen medizinisch nicht indizierte Medikamente verabreichte. Dabei soll es ihm in erster Linie darum gegangen sein, sich danach um die Reanimation der Patienten bemühen zu können und vor Kollegen gut dazustehen.
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