Kiew/Moskau/Paris (dpa)

Mariupol: Hunderttausende müssen evakuiert werden

| 06.03.2022 01:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Seit fünf Tagen hat Mariupol nach Angaben des Bürgermeisters keinen Strom mehr - das erschwert auch die Versorgung der vielen Verletzten. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Seit fünf Tagen hat Mariupol nach Angaben des Bürgermeisters keinen Strom mehr - das erschwert auch die Versorgung der vielen Verletzten. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
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Der Versuch, Zivilisten aus Mariupol herauszuholen, ist gescheitert. Frankreichs Präsident Macron dringt gegenüber Putin auf den Schutz der Zivilbevölkerung. Der hat aber vor allem ein Ziel vor Augen.

Die Rettung von Hunderttausenden Zivilisten aus der von Russland belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol ist erneut gescheitert. Auch am Sonntag gelang die Evakuierung nach Angaben des Kreml und des Roten Kreuzes nicht.

Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamtes müssen auch aus anderen Städten sofort mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer evakuiert werden. Es gebe bereits mehrere Dutzend Städte in acht Regionen im Land, in denen die humanitäre Situation katastrophal sei, berichtete die ukrainische Internetzeitung „Ukrajinska Prawda“ am Sonntag in Berufung auf Kommentare aus dem Präsidialamt.

Das Präsidialamt hat laut „Ukrajinska Prawda“ Russland zudem vorgeworfen, die humanitären Korridore als Vorwand zu benutzen, um die eigenen militärischen Positionen zu stärken und die Ukraine vollständig zu erobern.

Russlands Präsident Wladimir Putin machte bei einem Gespräch mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron die Ukraine verantwortlich, die sich nach seiner Darstellung nicht an die vereinbarte Feuerpause halte. Das Rote Kreuz sprach von einem „Fehlen einer detaillierten und funktionierenden Übereinkunft zwischen den Konfliktparteien.“ Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) bezeichnete den zweiten Versuch der Evakuierung Mariupols ebenfalls als erfolglos. „Der heutige Versuch, die Verlegung von geschätzt 200.000 Menschen zu beginnen, ist gescheitert“, hieß es in einem Tweet des IKRK.

Ukrainische Nationalisten hätten nicht zugelassen, dass die Menschen aus Mariupol und aus Wolnowacha in Sicherheit gebracht werden können, hieß es vom Kreml. Die Feuerpause sei vielmehr genutzt worden, damit sich die ukrainischen Streitkräfte neu positionieren könnten. Dem französischen Präsidenten sei nahegelegt worden, auf die ukrainische Führung einzuwirken, damit diese sich an das internationale humanitäre Recht halte.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes schrieb bei Twitter: „Die gescheiterten Versuche unterstreichen das Fehlen einer detaillierten und funktionierenden Übereinkunft zwischen den Konfliktparteien.“ Die Menschen in Mariupol lebten in Schrecken, und suchten verzweifelt nach Sicherheit.

Macron fordert Einhaltung des Völkerrechts

Wie der Élyséepalast mitteilte, forderte Macron in dem Telefonat das Einhalten des humanitären Völkerrechts, den Schutz der Zivilbevölkerung und deren Versorgung mit Hilfsgütern. Macron habe sich besorgt über einen bevorstehenden Angriff auf Odessa geäußert. Von Putin habe er das Einstellen der Kampfhandlungen und die Suche nach einer Verhandlungslösung zu Bedingungen gefordert, die für die Ukrainer akzeptabel sind. Wie es aus dem Élyséepalast hieß, habe Putin hingegen seine Forderungen an die Ukraine wiederholt und betont, wenn er diese nicht auf diplomatischem Weg erreiche, dann tue er dies mit militärischen Mitteln.

Bei dem Gespräch Putins mit Macron ging es nach Kremlangaben auch um Frankreichs Sorgen um die atomare Sicherheit in der Ukraine. Putin betonte der Mitteilung zufolge, dass russische Streitkräfte das 1986 havarierte Atomkraftwerk (AKW) Tschernobyl unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Zum international beachteten Vorfall im AKW Saporischschja sagte Putin nach Kremlangaben, dass es sich um eine „zynische Propaganda-Kampagne“ gehandelt habe. Am Freitag war auf dem Gelände des AKW Saporischschja ein Feuer ausgebrochen.

Angst vor Atomunfall

Russische Streitkräfte hätten gemeinsam mit ukrainischen Sicherheitskräften das AKW gesichert, so der Kreml. Es habe sich um einen Sabotageakt radikaler Kräfte in der Ukraine gehandelt und um den Versuch, dies den russischen Streitkräften anzulasten. Putin habe Macron darauf hingewiesen, dass die nukleare Sicherheit der Anlage geschützt sei. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) habe auch bestätigt, dass es keine erhöhte Strahlung geben. Wie es aus Paris hieß, habe Putin eingewilligt, die Sicherheit der AKW im Austausch mit der IAEA zu gewährleisten. Am Montag sei dazu ein Treffen geplant.

Nach ukrainischer Darstellung waren russische Truppen für den Brand auf dem AKW-Gelände verantwortlich gewesen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Freitag von einem gezielten Beschuss der Reaktorblöcke durch russische Panzer gesprochen.

© dpa-infocom, dpa:220306-99-402583/15

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