Berlin (dpa)
Forscherin: Es kommen dieses Jahr mehr Flüchtlinge als 2015
Die Zahl der in Deutschland ankommenden ukrainischen Flüchtlinge steigt. Nach Einschätzung von Fluchtforscherin Glorius kommen dieses Jahr möglicherweise mehr als im Krisenjahr 2015.
Deutschland muss sich nach Einschätzung der Fluchtforscherin Birgit Glorius auf eine sehr hohe Zahl von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine einstellen.
„Meine persönliche Prognose ist, dass die Ankünfte in diesem Jahr die Zahlen von 2015 auf jeden Fall übersteigen werden“, erklärte die Professorin der TU Chemnitz am Mittwoch. „Die Skala ist nach oben offen.“ 2015 waren etwa 900.000 Migranten vor allem aus Syrien nach Deutschland eingereist.
Größte humanitäre Herausforderung
Glorius sagte, die Menschen aus der Ukraine bräuchten nicht nur eine erste Zuflucht, sondern Wohnraum, Bildungsmöglichkeiten, Sprachkurse, psychosoziale Unterstützung und menschliche Anteilnahme. „Das wird auch für Deutschland die größte humanitäre Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Aus der Ukraine sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen seit Beginn des russischen Einmarschs schon mehr als zwei Millionen Menschen geflohen.
Glorius sagte, die Fluchtbewegung aus der Ukraine sei derzeit sehr dynamisch und setze deren Nachbarländer unter Druck. So seien allein in Polen in den ersten zehn Tagen seit Beginn des Krieges rund 900.000 Menschen angekommen. Außer in Polen suchten viele Ukrainer in Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Moldawien Zuflucht. Auch wenn viele Menschen von dort weiter reisten, bedeute dies für diese Länder eine enorme logistische Anstrengung bei der Erstversorgung.
Wie viele Menschen noch in die Flucht getrieben werden, hänge vom weiteren Kriegsverlauf ab, sagte die Forscherin, die dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorsteht. Nehme man die Zahlen aus der Ostukraine seit 2014 zum Vergleich, dann müsste Europa mit zehn Millionen Ukraine-Flüchtlingen rechnen.
Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge steigt
Mit der steigenden Zahl der hierzulande ankommenden Kriegsflüchtlinge werden auch die Rufe nach mehr Koordination und Unterstützung vom Bund lauter.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben die Behörden in Deutschland die Ankunft von 80.035 Kriegsflüchtlingen festgestellt. Das teilte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, in Berlin mit.
Die Bundespolizei habe ihre Kontrollen zwar deutlich verstärkt. Da es an der Grenze zu Polen und Tschechien keine stationären Kontrollen gebe und viele Neuankömmlinge bei Verwandten untergekommen seien, sei die tatsächliche Zahl der Menschen, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, aber noch nicht bekannt.
Deutscher Städtetag fordert Flüchtlingsgipfel
Der Deutsche Städtetag hat sich für einen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen ausgesprochen. „Die Städte bereiten sich intensiv auf die Aufnahme weiterer Menschen vor. Für all das brauchen wir die Unterstützung von Bund und Ländern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Nötig sei etwa eine Verständigung darüber, von welchen Annahmen ausgegangen werde und welche Kapazitäten aufgebaut werden müssten. „Außerdem müssen Bund und Länder alles dafür tun, die Flüchtlinge bundesweit zu verteilen, auch wenn sie sich überwiegend frei bewegen dürfen“, sagte Dedy. Einige Städte seien als zentrale Verkehrsknotenpunkte besonders betroffen. Dedy forderte eine Zusage der Bundesregierung, dass die Städte mit den finanziellen Folgen der Flüchtlingsaufnahme nicht alleingelassen werden. Städte wie Berlin oder Frankfurt (Oder), in denen besonders viele Menschen ankämen, bräuchten kurzfristig Sonderhilfen.
Kulturrat bündelt Hilfsangebote für Ukraine
Der Deutsche Kulturrat hat auf seiner Webseite Informationen aus dem Kultur- und Medienbereich zum Krieg in der Ukraine zusammengestellt. Auf www.kulturrat.de/ukraine. werde über Hilfsangebote ebenso informiert wie über Spendenaufrufe und andere aktuelle Maßnahmen, teilte der Spitzenverband der Bundeskulturverbände am Mittwoch mit.
Themenbereiche sind unter anderem Bau- und Denkmalkultur, Bildende Kunst und Museen, Darstellende Kunst, Film, Literatur und Musik. Der Geschäftsführer des Kulturrates, Olaf Zimmermann, erklärte, die Solidarität und Hilfsbereitschaft aus dem Kultur- und Medienbereich für die Ukraine sei sehr groß. Es gebe zahlreiche Aktionen und Initiativen, die Hilfe für die in Not geratene Kulturszene organisierten.
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