Berlin (dpa)
Bundesregierung wegen Corona-Öffnungsplänen in der Kritik
Die Infektionszahlen steigen auf einen Rekord von mehr als 250.000 an einem Tag - und der Bund will die Corona-Auflagen lockern. Nun mehren sich die Warnungen.
Die Bundesregierung gerät wegen ihrer Corona-Öffnungspläne immer mehr in die Kritik - auch in den Reihen der Ampelparteien.
So warnten die Grünen vor Toten durch Realitätsverweigerung. Im Zentrum der Kritik steht der geplante bundesweite Basisschutz, bei dem unter anderem Maskenpflichten in vielen Bereichen entfallen sollen. Die SPD im Bundestag erwartet noch Änderungen an den Gesetzesplänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP). Das Robert Koch-Institut (RKI) stellte erstmals in der Corona-Pandemie binnen eines Tages mehr als 250.000 neue Corona-Infektionen fest.
Die wachsende Omikron-Welle wird nach Aussage von Lauterbach wahrscheinlich größtenteils durch die Variante BA.2 getrieben. Lauterbach warnte vor täglich 200 bis 300 Todesfällen über Wochen hinweg auch wegen immer noch niedriger Impfquoten.
Auch das RKI sieht die leichtere Übertragbarkeit des Omikron-Subtyps BA.2 und die Rücknahme kontaktreduzierender Maßnahmen vermutlich für den erneuten Anstieg der Fälle verantwortlich. Bis Ende Februar ist der Anteil von BA.2 an einer Stichprobe auf 48 Prozent gestiegen, heißt es im Corona-Wochenbericht vom Donnerstagabend. In der Woche zuvor hatte der Wert noch bei 38 Prozent gelegen. „Der weitere Verlauf der Pandemie hängt maßgeblich davon ab, wie sich das Verhalten in der Bevölkerung ändert und in welchem Umfang mögliche infektionsrelevante Kontakte zunehmen.“
Die Gesundheitsämter meldeten laut RKI-Angaben von Donnerstagmorgen 262.752 neue Corona-Fälle in 24 Stunden. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg deutlich auf bundesweit 1388,5. Vor einer Woche lag sie bei 1174,1. Binnen 24 Stunden wurden den neuen Angaben zufolge 259 Todesfälle verzeichnet.
Dahmen: Trendumkehr in der Pandemie
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warnte vor Todesopfern durch ein unzureichendes Infektionsschutzgesetz. „Wir erleben eine Trendumkehr in der Pandemie“, schrieb er auf Twitter. Bisher sei die Aufhebung von Corona-Schutzmaßnahmen an die Fortsetzung einer positiven Entwicklung geknüpft gewesen. „Realitätsverweigerung gefährdet Menschenleben“, so Dahmen weiter. „Ein stärkerer Basisschutz ist nötig.“ So sollten etwa Masken in Innenräumen vorerst bleiben.
Die Linke-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler bezeichnete den Gesetzentwurf als „eine Katastrophe für alle, die sich selbst und ihre Lieben zu schützen versuchen“. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU), sprach sich im ZDF-„Morgenmagazin“ gegen einen raschen Wegfall der schützenden Maskenpflicht an Schulen aus.
Buschmann verteidigte die Pläne. Mit dem Kompromiss kämen Freiheit und Sicherheit in Einklang, so Buschmann auf Twitter. „Im Alltagsleben wird es so gut wie keine Einschränkungen mehr geben.“ Zugleich bekämen die Bundesländer einen Instrumentenkasten, um notfalls handlungsfähig zu sein.
Wüst kritisiert „Flickenteppich an Regeln“
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf ebenso scharf kritisiert. „Weitgehend flächendeckend verabredete Basisschutzmaßnahmen und bewährte Instrumente der Pandemiebekämpfung werden abgeschafft, stattdessen zeichnet der Entwurf einen Flickenteppich an Regeln vor, den die Menschen kaum verstehen werden“, sagte Wüst der „Welt“.
Mit den geplanten Gesetzesänderungen lasse die Bundesregierung die Länder allein und ignoriere ihren eigenen Expertenrat. „Dessen jüngste Stellungnahme ist glasklar: Zur Pandemiebekämpfung braucht es kurze Reaktionszeiten“, sagte Wüst. „Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung birgt die Gefahr des exakten Gegenteils: lange Verfahren statt schnellem und rechtssicherem Handeln“, sagte Wüst, der derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist.
Fokus auf Hotspots ab dem 20. März
Bundesweit sollen dem Entwurf zufolge nach dem 20. März nur noch Maskenpflichten in Pflegeheimen, Kliniken und öffentlichem Nahverkehr möglich sein sowie Testpflichten in Pflegeheimen und Schulen. Bleiben soll außerdem die Maskenpflicht in Fernzügen und Flugzeugen. Wenn sich in einem Bezirk, einem Ort oder einer Region die Corona-Lage zuspitzt, sollen dort einige schärfere Auflagen verhängt werden können: Maskenpflichten, Abstandsgebote, Hygienekonzepte sowie Impf-, Genesenen- oder Testnachweise (3G/2G/2G plus) - aber nur, wenn sich vorher das jeweilige Landesparlament damit befasst hat.
„Es regiert das Prinzip Hoffnung“, sagte der Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der „Augsburger Allgemeinen“. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte von grober Fahrlässigkeit gesprochen. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) hatte gesagt: „Man wirft doch den Feuerlöscher nicht weg, wenn es noch brennt.“ Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte sich kritisch geäußert. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) bezeichnete die künftigen Regeln in der „Welt“ hingegen als derzeit verantwortbar. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lobte den Entwurf in der Zeitung, forderte aber noch Änderungen in Details.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, nach den geplanten Anhörungen zum Entwurf im Bundestag werde es wahrscheinlich noch Präzisierungen geben. Große Änderungen würden wohl nicht nötig.
Lauterbach: Probleme ohne höhere Impfquote
Lauterbach rief erneut zu mehr Impfungen auf. Die Lücke sei so groß, „dass wir ohne eine deutliche Verbesserung der Impfbereitschaft und der Impfquoten im Herbst wieder erhebliche Probleme haben werden“. Dies zeige auch die jetzt wieder anwachsende Omikron-Welle. Wenn dies nicht in den Griff komme, würden über viele Wochen hinweg jeden Tag 200 bis 300 Todesfälle zu beklagen sein. „Damit können wir uns nicht abfinden.“
Beim Impfen geht es weiter nur langsam voran. Am Mittwoch wurden deutschlandweit rund 95.000 Impfdosen verabreicht.
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