Medyka (dpa)
Ukraine-Rückkehrer: Kämpfer, Urlauber und Verzweifelte
Während Millionen Menschen vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, reisen andere in die entgegengesetzte Richtung: Sie wollen dort kämpfen oder nach hilfsbedürftigen Verwandten schauen.
Sie sind braun gebrannt und haben ihre Urlaubskoffer dabei. Nun wollen Andrej (42) und Viktoria (40) mit ihren Familien nach Hause. Zurück in eine Heimat, in der nichts mehr so ist, wie es bei ihrem Abflug in die Sonne war.
Die acht Ägypten-Urlauber stammen aus der Stadt Krywyj Rih in der Zentralukraine. Jetzt stehen sie am Übergang Medyka-Schehyni an Polens Grenze zur Ukraine. „Wir sind am 24. Februar nach Scharm-El Scheich geflogen. Erst in Ägypten haben wir vom Kriegsausbruch erfahren“, erzählt der Bauarbeiter Andrej. Weil es keine Flüge mehr in die Ukraine gab, behielten die Ägypter die Gruppe zunächst dort, setzten sie schließlich in eine Maschine nach Stettin. Wäre es nicht sicherer, in Polen zu bleiben? Andrej schüttelt den Kopf. Drei Männer aus der Gruppe seien im wehrfähigen Alter. „Wir wollen kämpfen.“ Und Viktoria ergänzt: „Wir Frauen schleppen dann die Munition.“
Rund 1 94.000 Rückkehrer
Seit dem Beginn von Russlands Angriff auf ihr Land sind Millionen Ukrainer auf der Flucht. Allein in Polen sind in dieser Zeit mehr als 1,8 Millionen Geflüchtete angekommen. Doch der polnische Grenzschutz zählte bis Montag auch rund 194 500 Menschen, die die Grenze in Richtung Ukraine überquerten. Die meisten davon sind Ukrainer. Unter den Staatsbürgern anderer Länder sind viele Menschen, die Hilfsgüter über die Grenze transportieren.
„Manche Frauen bringen ihre Kinder in Polen in Sicherheit und gehen dann in die Ukraine zurück, um zu kämpfen“, sagt Edyta Dabowska. Die 30-jährige Mathematikerin hilft als Freiwillige auf der polnischen Seite den Menschen am Grenzübergang Medyka. „Viele Ukrainerinnen haben in Polen gearbeitet, sie haben zuhause Kinder oder alte Eltern zurückgelassen, denen sie nun beistehen wollen.“
Andere Rückkehrer sind verzweifelt und schockiert über die Verhältnisse, die sie als Flüchtlinge im Westen erwarten. So wie Alexandra aus Charkiw. Gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer vierjährigen Tochter und ihrer Freundin Valeria hatte sich die 28-Jährige bis nach Nürnberg durchgeschlagen. „Doch da haben sie uns in einen Karzer gesteckt“, sagt sie. Wie eine Arrestzelle kam ihr die Erstaufnahmestelle in Deutschland vor. Auf ihrem Handy scrollt sie durch Fotos. „Wohncontainer, Etagenbetten, schmutzige Matratzen und auslaufende Dixie-Toiletten - und drumherum Gitterzäune. Daneben ein Wohnheim voll mit syrischen Männern. Es war der Horror.“
„Wenigstens dein eigenes Haus, deine eigene Straße“
Zwar hätten die deutschen Behörden ihr bald eine bessere Unterkunft in Aussicht gestellt, sagt Alexandra. Doch die junge Frau hatte genug. Sie ließ ihre Eltern in Deutschland und ist nun mit ihrer Freundin und ihrer Tochter auf dem Rückweg nach Charkiw. „Man sitzt da, man hört die Einschläge, das ist nicht schön“, sagte sie. „Aber es ist wenigstens dein eigenes Haus, deine eigene Straße.“
Auch Oleg Kowal will zurück. Der 27-jährige aus Kropywnyzkyj im zentralukrainischen Gebiet Kirowohrad hat ein halbes Jahr in Polen als Bauarbeiter gearbeitet. Jetzt steht er mit einer großen Flasche Fanta und einer Tasche im Camouflage-Look am Grenzübergang. „Unser Volk wird überfallen, da kann ich nicht so dasitzen.“ Fünf Jahre habe er in der ukrainischen Armee gedient. Nun will auch er kämpfen.
Es sind nicht nur Ukrainer, die sich dem Widerstand gegen die russischen Besetzer anschließen wollen. Wortkarg zieht eine Gruppe von durchtrainierten Finnen mit düsteren Tattoos und Armeerucksäcken vorbei. Ihr Anführer verrät nur seinen Spitznamen: „Man nennt mich Oppe.“ Auch Luca aus Frankreich und sein Kumpel wollen über die Grenze. Warum? „Zum Helfen“, sagt der Kumpel vage. Doch Luca wird konkret: „Pour combat - für den Kampf.“
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