Karlsruhe (dpa)
BGH-Urteil: Lockdown-Betroffene bekommen keine Entschädigung
Eine Gastronomen-Familie hat hohe Einbußen, weil sie wochenlang schließen musste. Vor Gericht will sie erreichen, dass das Land dafür aufkommt. Das Urteil ist für die gesamte Branche eine Enttäuschung.
Gastronomen und andere Betriebsinhaber, die im Corona-Lockdown schließen mussten, haben keinen Anspruch auf staatliche Entschädigung für ihre Einnahmeausfälle.
Der Gesetzgeber habe mit den verschiedenen Hilfsprogrammen seine Pflicht erfüllt, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag in einem Musterfall aus Brandenburg. Damit ist das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen. Möglich wäre nur noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. (Az. III ZR 79/21)
Der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann hatte in der Verhandlung am 3. März gesagt, dass bundesweit sehr viele ähnliche Verfahren bei den Gerichten anhängig seien. Deren Ausgang ist nun vorgezeichnet.
Einbußen mit 5438 Euro pro Tag
Das traf auch Schloss Diedersdorf, einen familiengeführten Betrieb mit Hotel, mehreren Restaurants und großem Biergarten südlich von Berlin. Eigentümer Thomas Worm und seine Tochter Salina beziffern ihre Einbußen mit 5438 Euro pro Tag - durch entgangenen Gewinn und laufende Kosten. Die Familie bekam 60.000 Euro Soforthilfe. Aber das decke gerade einmal elf Tage ab, hatte ihr Anwalt vorgerechnet.
Mit ihrer Klage wollten die Worms erreichen, dass das Land Brandenburg ihnen eine Entschädigung von mindestens 27.000 Euro zahlen muss. Die genaue Schadenshöhe wäre nachträglich bestimmt worden. Dass daraus wohl nichts wird, hatte sich schon in der Verhandlung vor zwei Wochen abgezeichnet. Auch in den Vorinstanzen war die Klage erfolglos. „Nichtsdestotrotz ist die Enttäuschung groß“, sagt Salina Worm (21), die seit kurzem Geschäftsführerin des Betriebs ist. „Wir haben natürlich die Hoffnung nicht aufgegeben.“
Das Infektionsschutzgesetz sieht zwar in bestimmten Fällen eine finanzielle Entschädigung vor - aber nur für jemanden, der „als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern“ Verdienstausfälle hat. Auf Schloss Diedersdorf hatte damals niemand Corona.
An einer zweiten Stelle im Gesetz ist geregelt, dass jemand Geld bekommen kann, wenn ihm durch behördliche Maßnahmen zur Verhütung einer Infektionskrankheit Schäden entstehen. Das wiederum bezieht sich nur auf die Vorbeugung - Corona war aber schon ausgebrochen.
„Entschädigungen auf wenige Fälle“
Für flächendeckende Schließungen wie im Frühjahr 2020 waren beide Paragrafen nach Auffassung des BGH nicht gedacht. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, „Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen“. Die obersten Zivilrichterinnen und -richter meinen, dass sie sich dazu in Widerspruch setzen würden, wenn sie „massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen“.
Der Senatsvorsitzende Herrmann sagte, Hilfeleistungen für Wirtschaftsbereiche, die von der Pandemie schwer getroffen wurden, seien keine Aufgabe der Staatshaftung. Aus dem Sozialstaatsprinzip folge nur eine Pflicht zu innerstaatlichem Ausgleich. Die Ausgestaltung bleibe dem Gesetzgeber überlassen. Hier sei der Staat seiner Verpflichtung durch die verschiedenen Corona-Hilfen nachgekommen.
Laut Deutschem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) haben die Lockdowns und anderen Corona-Maßnahmen „riesige Löcher in die Bilanzen“ gerissen. Von März 2020 bis Dezember 2021 habe die Branche real 73,8 Milliarden Euro an Umsatz verloren. Das entspreche einem Minus von 40,3 Prozent 2021 und von 39,0 Prozent im Jahr 2020.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher nicht mit der Frage befasst, ob Lockdown-Betroffene möglicherweise eine Entschädigung bekommen müssten. Erst am Mittwoch hatten die Verfassungsrichter mitgeteilt, dass die Klage einer Hotelgruppe nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Diese hatte sich direkt ans Verfassungsgericht gewandt, hätte sich aber zunächst durch die Instanzen klagen müssen. In ihrem Beschluss verweisen die Verfassungsrichterinnen und -richter auch auf das bevorstehende Urteil des Bundesgerichtshofs. Für sie sei Voraussetzung, dass es eine höchstrichterliche Entscheidung gebe.
Die Worms könnten es nun mit einer Verfassungsbeschwerde versuchen, sind aber noch unschlüssig. „Das ist ja auch alles mit hohen Kosten für uns verbunden“, sagt Salina Worm. „Wir wissen es noch nicht.“
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