Kiew (dpa)

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

| 22.03.2022 05:18 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Präsident Wolodymyr Selenskyj will mögliche Absprachen mit Moskau vom ukrainischen Volk legitimieren lassen. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa
Präsident Wolodymyr Selenskyj will mögliche Absprachen mit Moskau vom ukrainischen Volk legitimieren lassen. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa
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Im Sperrgebiet um das ehemalige AKW Tschernobyl soll es an sieben Stellen brennen. Ein kremlnaher Komiker spielt Großbritanniens Verteidigungsminister einen Telefonstreich. Entwicklungen im Überblick.

Seit knapp vier Wochen herrscht Krieg in der Ukraine. Ein Überblick über die Lage vor Ort und wichtige politische Entwicklungen.

Selenskyj: Bereits 117 Kinder im Krieg getötet

Im Ukraine-Krieg sind nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schon mindestens 117 Kinder getötet worden. „Aber 117 wird nicht die letzte Zahl sein“, warnte er in einer Videoschalte vor dem italienischen Parlament. Mit Blick auf die russischen Truppen fügte er hinzu: „Sie hören nicht auf zu töten.“

Vor der Schalte mit dem Parlament hatte Selenskyj nach eigenen Angaben mit Papst Franziskus telefoniert. Der Papst habe ihm Mut zugesprochen. „Ich habe ihm geantwortet: Unser Volk ist zum Heer geworden, als es gesehen hat, wie viel Leid der Feind mit sich bringt, wie viel Zerstörung er hinterlässt, wie viel Blutvergießen das fordert.“

WHO: 62 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen

Seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mindestens 62 Gesundheitseinrichtungen angegriffen worden. Dabei seien 15 Menschen ums Leben gekommen und 37 verletzt worden, teilt eine Sprecherin in Genf mit. Die Berichte beziehen sich auf den Zeitraum 24. Februar bis 18. März. Nach Angaben der WHO wurden sie unabhängig geprüft.

Nähere Angaben zur Lage dieser Einrichtungen machte die Sprecherin nicht, „um weitere Schäden von den Überlebenden fernzuhalten“. Die WHO zählt dazu Angriffe auf Kliniken, Praxen, Transporte mit Medikamenten und Material, Lagerhäuser, Personal und Patienten.

Die WHO verurteilt solche Angriffe, die durch das Völkerrecht verboten sind. Zugang zu ärztlicher Hilfe sei ein Menschenrecht.

Brände nahe stillgelegtem AKW Tschernobyl

Im Sperrgebiet um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl sind nach Angaben des ukrainischen Parlaments mehrere Brände ausgebrochen. An sieben Stellen brenne es, teilt die Rada in Kiew mit. Sie beruft sich auf Satellitendaten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Insgesamt soll bereits eine Fläche von mehr als zwei Quadratkilometern in Flammen stehen.

Russische Truppen haben das Gelände um das AKW vor rund einem Monat unter ihre Kontrolle gebracht. Dort kam es 1986 zum schwersten Atomunglück in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernkraft.

Die Feuer seien „wahrscheinlich durch die bewaffnete Aggression der Russischen Föderation verursacht worden - nämlich durch Beschuss oder Brandstiftung“, teilte die Rada mit. Das ließ sich nicht überprüfen. Allerdings kam es dort in der Vergangenheit immer wieder zu Wald- und Flächenbränden.

Guterres: Russland kann Krieg nicht gewinnen

Russland kann seinen Angriffskrieg in der Ukraine nach Einschätzung von UN-Generalsekretär António Guterres nicht gewinnen. „Die Ukraine kann nicht Stadt für Stadt, Straße für Straße, Haus für Haus erobert werden“, sagte Guterres. „Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen. Früher oder später wird man vom Schlachtfeld zum Friedenstisch wechseln müssen.“ Zugleich forderte er einen sofortigen Waffenstillstand.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen bekräftigte, dass Russlands Krieg illegitim sei, gegen die UN-Charta verstoße und entsetzliches Leid gebracht habe. Zivilisten würden durch systematische Bombardierungen terrorisiert.

Kremlnaher Komiker spielt britischem Minister Telefonstreich

Ein kremlnaher russischer Komiker hat sich zum wiederholten Mal erfolgreich unter falschem Namen zum Telefonat mit britischen Ministern durchstellen lassen.

Ein Clip, der auf Youtube hochgeladen wurde, zeigt den britischen Verteidigungsminister Ben Wallace im Video-Gespräch mit einem Anrufer, der sich als ukrainischer Premierminister Denys Schmyhal ausgibt. Wallace hatte den Vorfall bereits in der vergangenen Woche öffentlich gemacht und indirekt der Regierung in Moskau die Verantwortung dafür gegeben. Er bezichtigte sie, sich „schmutziger Tricks“ zu bedienen.

In dem Video ist zu hören, wie der Anrufer um Unterstützung für ein angebliches nukleares Programm bittet, „um uns vor Russland zu schützen“, wie er sagt. Wallace nickt erst, zeigt sich dann aber von der Anfrage irritiert, äußert Bedenken und verweist auf die allgemeine Unterstützung seiner Regierung für Kiew.

„Die Dinge müssen so schlecht laufen für den Kreml, dass sie jetzt sogar zu Streichen und gefälschten Videos greifen“, twitterte Wallace nach Veröffentlichung.

Selenskyj will über Absprachen mit Moskau abstimmen lassen

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj will über alle in Verhandlungen mit Russland erzielten Vereinbarungen landesweit per Volksabstimmung entscheiden lassen. Das kündigte der ukrainische Staatschef im Fernsehen an. Die abschließende Form von Kompromissen mit Russland über Sicherheitsgarantien sowie über die besetzten Gebiete der Ukraine müsse in einem Referendum abgesegnet werden.

Beide Kriegsparteien verhandeln derzeit miteinander. Konkrete Vereinbarungen gibt es aber bislang noch nicht.

Selenskyj warnte Russlands Präsident Wladimir Putin vor einer Fortsetzung des Kriegs: „Indem er uns vernichtet, vernichtet Putin sich selbst.“

Seine Landsleute rief Selenskyj angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Zivilisten zum Widerstand und zum Durchhalten auf. „Um unser Volk zu retten. Kämpft. Kämpft und helft!“ In seiner Ansprache an das „große Volk der großen Ukraine“ bezeichnete Selenskyj die russischen Militärs als „Touristen mit Panzern“ und „Sklaven ihrer Propaganda, die ihr Bewusstsein verändert hat“.

Russische Zeitung nennt hohe Opferzahl in Ukraine

Die kremlnahe russische Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ hat hohe Zahlen angeblich in der Ukraine getöteter Russen veröffentlicht - und später wieder gelöscht.

In einem Online-Artikel war unter Berufung auf das Verteidigungsministerium die Rede von 9861 russischen Soldaten, die seit Beginn des Kriegs gestorben sein sollen, wie aus einer archivierten Version des Textes hervorgeht. Das wären deutlich mehr als die 498 Toten, die Moskau bislang offiziell bestätigt hat. Einige Stunden später war die entsprechende Passage aus dem Artikel der „Komsomolskaja Prawda“ allerdings wieder verschwunden.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak kommentierte auf Twitter, dass „die russische Kunst des Lügens“ nicht mehr helfe. „Ein Desaster für die Propaganda Russlands, in der echten Welt gibt es aber fast schon doppelt so viele tote Russen.“

Nach ukrainischer Darstellung sind seit Kriegsbeginn bereits knapp 15.000 russische Soldaten getötet worden.

Drei Fluchtkorridore für Mariupol geplant

In der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol sollen nach Regierungsangaben drei Fluchtkorridore geöffnet werden. Die Menschen sollen demnach aus den umliegenden Orten Berdjansk, Jurjiwka und Nikolske in die Großstadt Saporischschja gebracht werden.

Es sei klar, dass es nicht genügend Plätze gebe, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer Videobotschaft bei Telegram. Deswegen bitte man die Bürgerinnen und Bürger, den Anweisungen der Behördenvertreter vor Ort zu folgen und organisiert zu den Bussen zu gehen. Wereschtschuk versprach, niemand werde zurückgelassen. Man führe weiter täglich Evakuierung durch, bis alle Menschen aus der Stadt gebracht worden seien.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums leben noch bis zu 130.000 Bewohner in der Stadt am Asowschen Meer - einst waren es rund 440.000.

© dpa-infocom, dpa:220322-99-619546/10

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