Kiew (dpa)
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Ukrainische Streitkräfte gehen laut Pentagon inzwischen auch in die Offensive. Laut britischem Geheimdienst erhöht die Ukraine den Druck auf die russischen Truppen. Die Entwicklungen im Überblick.
Die russischen Streitkräfte haben nach einer Einschätzung aus dem US-Verteidigungsministerium auch rund einen Monat nach Kriegsbeginn nicht die Lufthoheit in der Ukraine erobert.
Der Luftraum sei weiterhin umkämpft, sagte ein hochrangiger Pentagon-Vertreter in einem Telefonbriefing mit Journalisten. Die USA und ihre Verbündeten arbeiteten daran, den Ukrainern mehr Luftabwehrsysteme mit großer Reichweite zu beschaffen. Die derzeit vorhandenen Systeme setzten die Ukrainer „sehr effektiv“ ein. Das sei ein Grund dafür, „warum wir ein ziemlich risikoscheues Verhalten einiger russischer Piloten beobachten“.
Der Pentagon-Mitarbeiter sagte außerdem, ukrainischen Truppen sei es gelungen, die russischen Angreifer östlich und nordöstlich der Hauptstadt Kiew zurückzudrängen. In einigen umkämpften Gegenden gelinge den Ukrainern nicht nur die Verteidigung, sie gingen sogar in die Offensive gegen die russischen Truppen. „Im Fall von Kiew zwingen sie sie im Grunde in eine defensive Position.“ Der Fokus der russischen Streitkräfte scheine derzeit auf dem Osten der Ukraine zu liegen.
Auch nach Einschätzung britischer Geheimdienste erhöht die Ukraine den Druck. Vor allem steige dieser auf die russischen Streitkräfte nordöstlich von Kiew. Diese stünden dort bereits vor erheblichen Problemen in der Versorgung und in ihrer Kampfmoral, heißt es in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, das am Mittwochabend veröffentlicht wurde.
Russische Journalistin in Kiew getötet
In Kiew kam eine russische Journalistin ums Leben. Sie sei unter Raketenbeschuss geraten, als sie eine redaktionelle Aufgabe wahrnahm, teilte ihr Arbeitgeber, die Investigativplattform The Insider (theins.ru) am Abend mit. Sie habe Zerstörungen im Bezirk Podil in Kiew gefilmt, als dieser unter erneuten Raketenbeschuss gekommen sei. Mit der Journalistin sei ein weiterer Zivilist ums Leben gekommen, zwei Begleitpersonen seien verletzt worden.
In der Mitteilung hieß es weiter, die Journalistin sei vor ihrer Stelle bei The Insider für den Anti-Korruptionsfonds des Kremlkritikers Alexej Nawalny tätig gewesen und in der Folge gezwungen gewesen, Russland zu verlassen. Sie sei daraufhin als Korrespondentin in die Ukraine gegangen und habe mehrere Berichte aus Lwiw (Lemberg) und Kiew erstellt. The Insider drückte der Familie und den Freunden der Journalistin tiefstes Beileid aus.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gab es Berichte über mindestens sechs getötete Journalisten.
Generalstab in Kiew: Zahlreiche Städte unter Beschuss
Nach Angaben des ukrainischen Militärs greifen russische Truppen weiter zahlreiche Städte und Gebiete in dem Land an - sind allerdings bei der Hauptstadt Kiew am Vorrücken gehindert worden. Beim Kiewer Vorort Browary seien russische Truppen gestoppt worden, heißt es in dem in der Nacht zu Donnerstag auf Facebook veröffentlichten Bericht des ukrainischen Generalstabs. Es sei ihnen nicht gelungen, die ukrainischen Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, um den nordwestlichen Stadtrand der Hauptstadt Kiew zu erreichen.
In dem Gebiet rund um die belagerte Stadt Isjum versuchten russische Einheiten, Abwehrstellungen der ukrainischen Streitkräfte in den südlich von Isjum gelegenen Dörfern Donezke, Topolske und Kamjanka zu durchbrechen, hieß es weiter. Die Gefechte dort dauerten an.
Im Gebiet Donezk sei die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Einheiten unter Beschuss. Russische Truppen wollten in dem Gebiet vor allem die Orte Werchnoterezke, Marjinka und die Großstadt Mariupol einnehmen. Sie versuchten auch ohne Kampf die Positionen ukrainischer Truppen zu passieren und sich vorwärts zu bewegen.
In dem Gebiet Luhansk konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Städte Rubischne mit 60.000, Sjewjerodonezk mit 100.000 und Popasna mit 20.000 Einwohnern, heißt es in dem Bericht weiter. Bei Popasna versuchten sie mit Artillerie-Unterstützung weiter in die Stadt vorzudringen, was aber nicht gelinge.
Auch im Norden des Landes dauerten die Kampfhandlungen an. Russische Einheiten hätten am Mittwoch die Orte Kalinowka, Horinka, Romanowka oder die nordöstlichen Randgebiete der Hauptstadt Kiew mit Artillerie beschossen. Russische Truppen verminten in dem Gebiet auch Bereiche.
Rund 4500 Evakuierungen aus ukrainischen Städten
Im Laufe des Tages haben fast 3000 Menschen aus Mariupol kommend mit privaten Transportmitteln die Großstadt Saporischschja erreicht. Nach russischen Angaben halten sich in Mariupol am Asowschen Meer noch 100.000 bis 150.000 Menschen auf. Dort herrschen katastrophale Bedingungen, es gibt kaum Essen, Wasser und Strom.
Insgesamt wurden mehr als 4500 Menschen aus belagerten und umkämpften Städten evakuiert. Weitere Evakuierungen habe laut stellvertretendem Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko, zudem aus dem Ort Huljajpole, dem Gebiet Luhansk und drei Dörfern im Gebiet Kiew gegeben.
Moskau: Russische Raketen zerstören Waffen
Russische Raketen griffen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau außerdem erneut mehrere militärische Ziele in der Ukraine an. Eine vom Meer aus abgefeuerte Rakete habe in der Region Riwne im Nordwesten der Ukraine Waffen und Militärtechnik zerstört, darunter auch Lieferungen des Westens, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow.
Der Einschlag ereignete sich demnach rund 14 Kilometer nordwestlich der Stadt Riwne. Dazu veröffentlichte das Ministerium ein Video von einem Raketenstart des Küstensystems „Bastion“ und den Start einer von einem Schiff abgeschossenen Flügelrakete vom Typ „Kaliber“.
In einem Industriegebiet in der Nähe von Kiew seien zwei Startkomplexe für die ukrainischen Raketen vom Typ „Totschka-U“ zerstört worden. Zudem seien ein Kampfjet vom Typ Su-24 und mehrere Kampfdrohnen abgeschossen worden, teilte der Generalmajor mit. Zu Toten machte Konaschenkow keine Angaben. Insgesamt seien innerhalb von 24 Stunden (seit Dienstag) knapp 100 militärische Objekte zerstört worden, hieß es. Die Informationen des Ministeriums sind nicht von unabhängiger Seite überprüfbar.
Schwierige Verhandlungen
Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland über ein Ende der Kampfhandlungen gestalten sich nach Angaben beider Seiten weiterhin kompliziert. „Die Verhandlungen sind ziemlich schwierig, weil die ukrainische Seite klare und grundsätzliche Positionen einnimmt“, sagte der ukrainische Verhandler Mychajlo Podoljak örtlichen Medien zufolge. Staatschef Wolodymyr Selenskyj habe die Schlüsselfragen wiederholt deutlich gemacht. Auch Moskau sprach von schleppenden Verhandlungen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow behauptete, die USA täten alles, um die Gespräche zu verzögern.
Die Ukraine fordert ein Ende der Kämpfe sowie einen Abzug der russischen Truppen. Moskau verlangt, dass Kiew die Separatistengebiete im Osten des Landes als unabhängige Staaten sowie die russische Herrschaft über die annektierte Halbinsel Krim anerkennt. Die Delegationen hatten sich mehrfach persönlich im Nachbarland Belarus getroffen. Mittlerweile wird in Videokonferenzen verhandelt.
Großbritannien will der Ukraine weitere Waffen liefern
Großbritannien will der Ukraine als Unterstützung weitere Waffen liefern. Man werde 6000 weitere Raketen schicken, darunter Panzerabwehrwaffen und andere Geschosse, kündigte der britische Premierminister Boris Johnson vor dem Beginn des Nato-Gipfels an.
Zudem werde man weitere 25 Millionen Pfund (rund 30 Millionen Euro) bereitstellen, um das ukrainische Militär zu stärken.
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