Kigali (dpa)
Ruanda: Die Rückkehr der Löwen lohnt sich
Löwen sind bedroht. In Ruanda gab es zwischenzeitlich gar keine mehr. Nun leben hier wieder 43 Exemplare. Sie kurbeln nicht nur den Tourismus an, sondern stabilisieren auch das Ökosystem.
Die Grillen geben trotz der Mittagshitze ein ohrenbetäubendes Konzert, Tsetse-Fliegen surren durch die schwüle Luft, ein aufgescheuchter Ibis schreit, Hyänen lachen in der Ferne.
Doch Drew Bantlin, der Naturschutz-Manager von Ruandas Akagera-Nationalpark, lauscht nur auf ein Geräusch: das leise Piepen seines digitalen Ortungsgeräts, das ihm anzeigt, wo die Löwen sind.
Die Raubkatzen sind der ganze Stolz von Akagera. Das Wahrzeichen Afrikas war im ostafrikanischen Ruanda, das einst 300 der Raubkatzen beherbergte, 2010 bereits lokal ausgestorben. Doch dann brachte ein Umsiedlungsprojekt die Wende. Fünf Weibchen und zwei Männchen wurden von Südafrika nach Ruanda umgesiedelt. Heute zählt das Rudel 43 Tiere, und die Zahlen wachsen stetig.
Denn was wäre Afrika ohne Löwen? Keine Tierart zieht mehr Besucher an als die Herrscher der Savannen. Die Symboltiere sind jedoch zunehmend bedroht. In Westafrika gibt es nur noch etwa 500 Löwen, auf dem gesamten Kontinent noch rund 20.000 Exemplare der ikonischen Raubkatzen. Die Weltnaturschutzunion ICUN hat die Spezies als „gefährdet“ eingestuft, doch die Zahl der Löwen geht weiter alarmierend zurück. Auf jeden wilden Löwen in Afrika kommen fünf Westliche Flachlandgorillas und 21 Afrikanische Elefanten. Selbst Nashörner sind zahlreicher als Löwen.
Bedenklicher Rückgang der Population
Schrumpfender Lebensraum, Rückgang an Beute aufgrund der Nachfrage nach Buschfleisch, unkontrollierte Trophäenjagd sowie illegaler Handel mit Löwenknochen haben dazu geführt, dass sich Afrikas Löwenpopulation in den vergangenen 25 Jahren halbiert hat.
Obwohl der Löwe als Wahrzeichen Afrikas gilt, sei seine Dezimierung nahezu unbemerkt, warnt Peter Lindsey, Direktor des Artenschutzprogramms der gemeinnützigen Organisation Wildlife Conservation Network (WCN). Der Rückgang müsse jetzt sofort aufgehalten werden, fordert Lindsey. Tierschützer haben sich daher ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: In den nächsten drei Dekaden wollen sie die Zahl der mächtigen Raubkatzen wieder verdoppeln.
Ein erster Schritt zur Rettung der Löwen in Ruanda begann 2015. Die Reise der ersten sieben Raubkatzen aus Südafrika dauerte gut 35 Stunden in Spezial-Containern, zuerst per Flugzeug, dann per Lastwagen. Es waren Ruandas erste wilde Löwen, seitdem die Tiere in den Jahren nach dem Völkermord von 1994, bei dem 800.000 Menschen ums Leben kamen, lokal ausgerottet wurden. Flüchtlinge besetzten damals einen Teil des Akagera-Nationalparks im Nordosten des Landes und nutzten ihn als Weideland. Um ihr Vieh zu schützen, jagten und vergifteten sie die verbleibenden Löwen.
Umsiedlungen bringen Erfolge
Sieben Jahre nach der Umsiedlung der ersten Raubkatzen zeigt das Umsiedlungsprojekt bereits großen Erfolg. Etwa drei Autostunden von Ruandas Hauptstadt Kigali entfernt leben heute 43 Löwen in dem 1100 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet, zusammen mit Nashörnern, Büffeln, Elefanten, Zebras, Giraffen, Leoparden, Hyänen, Flusspferden und Antilopen. Bantlins Team, das von der Tierschutzorganisation African Parks unterstützt wird und das Umsiedlungsprojekt in Akagera leitet, überwacht das Rudel eng mit digitalen Ortungsgeräten. Die Ranger beobachten das Sozial-, Jagd- und Paarungsverhalten der Tiere, halten ein wachsames Auge auf ihren Gesundheitszustand und Nachwuchs, und schützen die Löwen vor Wilderern.
Seit der Rückkehr der Löwen ist Akagera zu einem wichtigen Tourismusziel in Ruanda geworden. Zuvor seien die Besucher lediglich für die Berggorillas gekommen, die im Virunga-Park weiter im Westen an der Grenze zu Uganda und der Demokratischen Republik Kongo leben, und anschließend sofort wieder abgereist, erklärt Jean-Paul Karinganire, Sprecher des Akagera-Nationalparks. „Die Löwen haben dem Park neuen Status verliehen“, erzählt er. Die jährliche Besucherzahl sei von 15 000 im Jahr 2010 auf heute 50.000 gestiegen. Die Einnahmen des Parks hätten sich im gleichen Zeitraum mehr als verzehnfacht. Die Gelder hätten Arbeitsplätze geschaffen und seien in den Naturschutz geflossen, so Karinganire.
„Der Löwe ist das erste Tier, das einem in den Sinn kommt, wenn man an Afrika denkt. Jeder Safari-Tourist will als Erstes einen Löwen sehen“, sagt Charli Pretorius, die Ökologin des südafrikanischen Phinda-Naturreservats, dass fünf der ersten Löwen an Ruanda spendete. Das habe auch mit der positiven Konnotation zu tun, die die Filmindustrie in Hollywood durch Filme wie „Der König der Löwen“ geschaffen habe, meint Pretorius.
Positive Auswirkung aufs Ökosystem
In Akagera hat die Rückkehr der Löwen wesentlich mehr erreicht als bessere Einnahmen. Die Raubtiere helfen, das nach dem Genozid über viele Jahre vernachlässigte Ökosystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sagt Karinganire. Die Präsenz der Löwen, die ganz oben in der Nahrungskette stehen, habe sich positiv auf viele andere Arten ausgewirkt, erklärt er. Beispielsweise gebe es nun wieder mehr Hyänen und andere Aasfresser im Park, unter anderem den als „kritisch gefährdet“ eingestuften Wollkopfgeier. „Wir haben von Anfang an gespürt, dass es etwas Besonderes sein wird, Löwen zurück nach Ruanda zu bringen. Doch das Ausmaß der positiven Veränderungen für das Land und die Menschen hätten wir uns nicht erträumen können“, erklärt auch Pretorius.
Was Ruanda durch die Umsiedlung gespürt hat, ist inzwischen von Wissenschaftlern belegt worden: Der Löwe ist laut einer Studie der ökologischen Forschungsfirma Equilibrium Research eine Schlüsselart mit außerordentlichem Stellenwert für den Arten- und Naturschutz. Die Raubkatzen seien nicht nur für den Tourismus und die Wirtschaft wichtig. Sie seien hervorragende Indikatoren für die Gesundheit des gesamten Ökosystems und für eine nachhaltige Entwicklung.
„Wo in den Schutz der Lebensräume der Löwen investiert wird, profitiert das gesamte Ökosystem“, heißt es in der Studie. Das touristische Potenzial der Rudeltiere sei einzigartig. Löwen brächten jährlich Milliarden Euro ein, was afrikanische Länder motiviere, verstärkt in Natur- und Tierschutz zu investieren.
Bantlin und sein Team denken bereits darüber nach, in naher Zukunft Löwen aus Ruanda in andere Länder umzusiedeln, in denen Bestände ebenfalls drastisch zurückgegangen sind. Eine Möglichkeit sei das benachbarte Uganda, wo derzeit weniger als 500 Löwen leben und Zahlen rapide abnehmen, erklärt Bantlin. Denn das Ziel sei nicht nur, in Ruanda einen gesunden Löwenbestand zu schaffen, so Bantlin. Man wolle sicherstellen, dass der König der Tiere ganz Afrika erhalten bleibe.
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