Islamabad (dpa)
Atommacht Pakistan vor politischem Neubeginn
Pakistans Regierungschef Imran Khan hat ein mit Spannung erwartetes Misstrauensvotum verloren. Möglich machte das Votum erst ein entscheidender Rücktritt. Die Opposition erlebt ein Comeback.
Die Atommacht Pakistan steht vor einem politischen Neubeginn. Nach dem Misstrauensvotum gegen Premier Imran Khan könnte das Parlament in Islamabad bereits an diesem Montag einen neuen Regierungschef wählen.
Die Nationalversammlung solle um 14.00 Uhr (Ortszeit, 11.00 Uhr MESZ) zusammenkommen, erklärte das Parlamentssekretariat. Pakistans Parlament hatte Premierminister Khan in der Nacht zum Sonntag das Vertrauen entzogen. 174 von 342 Abgeordneten stimmten am Ende gegen den ehemaligen Kricketstar. Anhänger der Regierungsparteien hatten den Saal vor der Abstimmung verlassen. Das Misstrauensvotum markierte den Höhepunkt einer wochenlangen politischen Krise, in deren Verlauf Khan und seine Unterstützer mehrmals in die politische Trickkiste griffen, um eine Absetzung zu verhindern. Khan ist der erste Premier in der Geschichte Pakistans, der durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wird.
Shehbaz Sharif Kandidat der Opposition
Oppositionsführer Shehbaz Sharif dankte nach dem Votum den Unterstützern in einer besonnenen Rede für ihren Kampf. „Diese Einigkeit wird Pakistan wieder aufbauen“. Der jüngere Bruder des geschassten dreimaligen Premiers Nawaz Sharif ist der Kandidat der Opposition für den Premiersposten und somit möglicher Nachfolger Khans. Sharif versprach, die neue Regierung werde die Wunden der Nation lindern und keine Rachepolitik betreiben.
Mit einem Bündnis verschiedener Parteien hatte Shehbaz Sharif zwei Jahre lang gegen Khans Regierung mobil gemacht. Die entscheidende Mehrheit im Parlament gewann die Opposition durch Abgeordnete, die der Regierungskoalition den Rücken kehrten. Khan verfügte stets nur über eine hauchdünne Mehrheit. Zuletzt war die Kritik am Premier vor allem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land mit hoher Inflation gestiegen. Den von Khan versprochenen „islamischen Wohlfahrtsstaat“ konnte seine Regierung nicht umsetzen.
Dramatische Parlamentssitzung
Die Ereignisse rund um das Misstrauensvotum am Samstag waren an Dramatik kaum zu überbieten. Parlamentssprecher Asad Qaiser, Mitglied von Khans Partei Tehreek-e Insaaf (PTI), der die seit dem frühen Vormittag laufende Sitzung leitete, verzögerte das Votum immer wieder. Regierungsmitglieder hielten stundenlange Reden, um es hinauszuzögern. Die hitzigen Debatten zwischen Regierung und Opposition wurden mehrfach unterbrochen. Die wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Parlament waren zuvor aus Sorge vor gewaltsamen Protesten durch Schiffscontainer blockiert worden.
Erst kurz vor Mitternacht trat Qaiser plötzlich zurück und machte den Weg für die Abstimmung frei. Rechtsexperten zufolge musste das Votum spätestens Samstag abgehalten werden. Ebenso kurz vor Mitternacht gab es Medienberichte über Aktivitäten beim Obersten Gerichtshof. Dieser hatte die Abstimmung gerichtlich angeordnet, nachdem ein anderer Parlamentssprecher vor rund einer Woche das für damals bereits angesetzte Votum einfach nicht abgehalten hatte. In der Folge löste Präsident Alvi auf Anraten Khans sogar das Parlament auf.
Der Oberste Gerichtshof allerdings wies Khan und seine Parteigänger nach mehrtägigen Beratungen in die Schranken und ordnete einstimmig die Abhaltung des Misstrauensvotums an. Es hob auch die Auflösung des Parlaments wieder auf. Qaiser, mutmaßen Beobachter, habe wohl aus Angst vor persönlichen Konsequenzen in letzter Minute nachgegeben. Das im Land so mächtige Militär, das sich in der Geschichte bereits vier Mal an die Macht geputscht hatte, hielt sich in der gesamten Krise zurück und schritt nicht ein.
Khan akzeptiert Absetzung nicht
Khan erwies sich als schlechter Verlierer. In seiner ersten öffentlichen Reaktion auf seine Absetzung schrieb er am Sonntag auf Twitter, dass Pakistan zwar seit 1947 ein unabhängiger Staat sei, der „Freiheitskampf“ des Landes nun aber erneut beginne. Indirekt rief er zu Protesten auf: „Es sind immer die Menschen des Landes, die die Souveränität und Demokratie verteidigen.“
Seit sich abzeichnete, dass er das Votum verlieren würde, sprach Khan von einer angeblichen ausländischen Verschwörung gegen ihn und versuchte, mit anti-westlicher Rhetorik Stimmung für sich zu machen. Die USA habe sich mit seinen politischen Gegnern verschworen, um seine Regierung zu stürzen, behauptete er. Beweise dafür legte er nicht vor, Washington wies jegliche Einmischung zurück. Westliche Diplomaten in Islamabad halten die Vorwürfe für „konstruiert“.
Khans Partei PTI drohte zudem am Sonntag, die Abgeordneten der PTI im Parlament würden geschlossen zurücktreten, sollte die Nominierung des Oppositionsführers Shehbaz Sharif zum Premierskandidaten nicht wegen laufender Korruptionsvorwürfe zurückgewiesen werden.
Ohnehin dürfte es Beobachtern zufolge auch für einen möglichen Premier Shehbaz Sharif nicht einfach werden: Der Zusammenschluss an Oppositionsparteien, die das Misstrauensvotum gegen Khan unterstützt haben und Sharif in das Amt wählen könnten, eint außer der Ablehnung Khans bisher wenig. Es werde sehr schwierig, die derartig heterogenen Parteien auf eine gemeinsame Linie zu bringen, die das Land aus der Krise führen könnte, hieß es.
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