Berlin (dpa)

Waffen für die Ukraine - Was bietet Scholz an?

Michael Fischer und Carsten Hoffmann, dpa
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Von Michael Fischer und Carsten Hoffmann, dpa
| 20.04.2022 16:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Ein „Marder“-Schützenpanzer fährt bei einer Bundeswehrübung am Elbestrand in Sachsen-Anhalt. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Ein „Marder“-Schützenpanzer fährt bei einer Bundeswehrübung am Elbestrand in Sachsen-Anhalt. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
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Ja, die Ukraine soll Panzer und schwere Artillerie aus Nato-Staaten bekommen. Nein, die Waffen sollen nicht direkt aus Deutschland kommen. Kommt der Kanzler mit dieser Ansage aus der Defensive?

Es sollte eigentlich ein Befreiungsschlag werden. Tagelang hatte sich der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz aufgebaut, das weitere Vorgehen beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine zu erklären. Ab Dienstagabend war es so weit.

In einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz beantwortete Scholz die Frage, ob die Ukraine nun schwere Waffen aus der Nato erhalten soll mit einem „Ja, aber“. Die ukrainischen Streitkräfte sollen sie bekommen, aber nicht direkt aus Deutschland. Waffenlieferungen über Bande also.

Was hat der Kanzler der Ukraine zugesagt?

Rüstungslieferungen der deutschen Industrie an die Ukraine werden von der Bundesregierung genehmigt und finanziert. Die Ukraine soll sich bereits von einer Angebotsliste Rüstungsgüter ausgesucht haben. Laut Scholz sind darunter Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrraketen und Munition, also das, was schon seit Kriegsbeginn aus Bundeswehrbeständen an die Ukraine geliefert wird. Nun soll aber noch hinzukommen, „was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann“. Ob damit nun Mörser, schwere Artilleriegeschütze oder nur Munition für diese Geschütze gemeint sind, verriet Scholz nicht. Er spricht auch von Waffen „mit erheblicher Auswirkung“.

Was will die Bundesregierung noch tun?

Nato-Partner, die Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern, sollen Ausgleich aus Deutschland erhalten. Da die ukrainische Armee zum großen Teil noch mit Waffen aus Sowjetzeiten kämpft, gelten diese als am leichtesten handhabbar für die Soldaten - ohne längere Ausbildung. Diese Waffen sind vor allem in osteuropäischen Staaten vorhanden. So soll Tschechien bereits Panzer geliefert haben. Estland hat - mit deutscher Zustimmung - Artilleriegeschütze bereitgestellt, die ursprünglich aus DDR-Beständen stammen. Polen und die Slowakei haben sogar die Lieferung von Kampfjets ins Spiel gebracht.

Was machen andere Bündnispartner?

Die USA haben die Lieferung von schweren Artilleriegeschützen bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte - Vertreter eines militärisch eher kleinen Landes im Nato-Verbund - sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag die Lieferung schwerer Waffen zu. Die niederländischen Streitkräfte haben wie die Bundeswehr die Panzerhaubitze 2000 in ihren Beständen, ein hochmodernes, schweres Artilleriegeschütz, das bis zu 40 Kilometer weit schießen kann. Scholz deutete eine Beteiligung an, die wohl als Zulieferung zu verstehen ist. Es könnte dabei um die Bereitstellung von Munition oder Ausbildung gehen.

Werden Waffen aus Bundeswehrbeständen geliefert?

Kaum noch. „Hier müssen wir inzwischen erkennen, dass die Möglichkeiten, die wir haben, an ihre Grenzen stoßen“, sagt Scholz. Hintergrund ist, dass die Bundeswehr ihre schweren Waffen selbst für sich beansprucht, um die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten zu können.

Ist die Ukraine zufrieden mit den Ankündigunge n?

Nein. In Kiew seien die Äußerungen des SPD-Politikers „mit großer Enttäuschung und Bitterkeit“ zur Kenntnis genommen worden, sagt der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Er nennt es „nicht nachvollziehbar“, dass die Bundeswehr keine schweren Waffen abgeben kann. Seiner Ansicht nach könnte die Truppe etwa 100 Marder-Schützenpanzer, die nur für Training und Ausbildung genutzt werden, einen Großteil ihrer 800 Fuchs-Transportpanzer und Panzerhaubitzen 2000 abgeben. Melnyk bemängelt auch, dass auf der Angebotsliste der Rüstungsindustrie, von der sich die Ukraine Rüstungsgüter aussuchen darf, keine schweren Waffen stünden.

Kann die Bundeswehr keine Marder-Panzer entbehren?

Die Bundeswehr verfügt über ungefähr 380 Schützenpanzer Marder, von denen allerdings nicht mal zwei Drittel einsatzbereit sind. Das Waffensystem wird seit gut 50 Jahren genutzt und soll vom Modell Puma abgelöst werden, das aber mit erheblichen technischen Problemen in die Truppe kam. So wird der Marder nun weiter als „bewährt“ bezeichnet - und die Streitkräfte sind noch auf Jahre auf den Panzer angewiesen. „Wir hätten keine Möglichkeit mehr, auf Eventualitäten zu reagieren, und das würde die Verteidigungsfähigkeit doch erheblich schwächen“, sagte der stellvertretende Generalinspekteur Markus Laubenthal im ZDF-„Morgenmagazin“. Ein Großteil der Marder werde auch herangezogen, um Ersatzteile für den Einsatz bereitzustellen. Der Sicherheitsexperte Carlo Masala bezweifelte aber, dass die Bundeswehr überhaupt keine schweren Waffen entbehren könne, um sie an die Ukraine zu liefern.

Kann der Umgang mit den Waffen schnell erlernt werden?

Dass bekannte Modelle problemloser eingesetzt werden können, ist unbestritten. Ukrainische Politiker haben aber signalisiert, dass die Soldaten des Landes schweres Gerät nicht nur für die kommenden Wochen, sondern auch noch in Monaten benötigen können. Kiew ist offenkundig überzeugt, die Waffen in die eigene Verteidigung integrieren zu können - und hat westliche Experten wiederholt überrascht.

Kehrt jetzt Ruhe in die Koalition ein?

Nein. Die Kritik an Scholz aus den Reihen der Grünen und der FDP wurde durch die Erklärung zwar etwas gedämpft, aber sie bleibt. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann beklagte auf Twitter, dass von Scholz „zu wenig Konkretes“ komme. Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter sprach von einem weiteren Schritt in die richtige Richtung. „Aber er reicht nicht aus“, sagte er t-online. Das Thema Waffenlieferungen könnte in der nächsten Woche auch den Bundestag befassen. Die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion hat bereits angekündigt, dazu gegebenenfalls einen Antrag im Parlament zu stellen.

© dpa-infocom, dpa:220420-99-978172/3

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